Tollkühne Helden in ihren fliegenden Körben
17. Boron 1016 BF
Die Ereignisse seit der Flucht der Baroness zu Menzheim sind für mich wie in einer Geschichte abgelaufen, an der ich als Nebenperson teilnehme. Erst nachdem Gwynna und ihre Begleiterinnen auftauchen wende ich mich wieder aktiver dem Geschehen zu. Als erstes zaubere ich voller Neugierde einen Odem und einen Analysis auf die Alicornnadel Luzelins. Der vielleicht wegen des vielen Hexischen etwas verstörte Cordovan macht begleitend ein paar Bemerkungen, die ich mir nicht erklären kann. Irgendwie fällt er hinter Ansichten, die beim langen Reisen mit Emmeran und mir gewonnen hatte, zurück.
Die Zauberkombination eröffnet mir eine langsam verschwindende hexische Kraft sowie die Einhornkraft des Gegenstandes. Dämonisches kann ich nicht erkennen. Plötzlich merke ich einen Druck in meinem Rubinauge. Ich sehe ein starkes magisches Band von Osten nach Westen laufen. Ich sehe den magischen Teil der Welt in einer nie gewesenen Klarheit, meine Fähigkeit der Hellsicht ist intensiver als ich sie in mir kenne. Ich lasse meinen Blick schweifen und erkenne dabei auch Emmerans Aura in einer vorher nicht dagewesenen Deutlichkeit. Ohne Verwunderung nehme ich wahr, dass sie ohne dunkle Schatten ist. Offensichtlich wirke ich abwesend, als ich mich auf mache, die Höhle zu verlassen. Cordovan hält mich fest und folgt mir bis in den Wald, wo er mich darauf hinweist, dass wir dem magischen Band kaum folgen können. Als ich umkehren will, schießt ein Gedanke durch meinen Kopf: „Jetzt weiß ich, wo Borbarad ist“.
Ich muss daraufhin das Bewusstsein verloren haben, jedenfalls finde ich mich auf einer Lagerstätte wieder, als ich meine Augen das nächste Mal aufschlage. Im Hintergrund sehe ich, wie Emmeran mit Gwynna redet. Sie schauen dabei einige Tränke an, auch gibt sie ihm wohl einen guten Rat mit auf den Weg. Ich kann mich, die Zwölfe seien Dank, an meinen letzten Gedanken erinnern. Borbarad ist im Nachtschattenturm.
Erschöpft legen wir uns schlafen. In den kommenden Stunden erreichen noch sechs Hexen die Höhle, von denen vier bleiben. Sie bereiten sich auf die anstehende Wahl Gwynnas zur neuen Oberhexe vor. Ich schlafe unruhig und habe einen schier endlosen Traum: aus den Poren meiner Haut tritt Blut, es fließt an mir herunter wie Schweiß an einem heißen Sommertag. Ermattet und verstört wache ich auf. Mein Lager ist schweißdurchnässt. Als ich mich aufrichte, sehe ich Cordovan, wie er inbrünstig betend vor seinem Bett kniet. Er wirkt gestärkt, geradezu emphatisch. Er hat offensichtlich deutlich besser geschlafen als ich. Die kommenden Tage strahlt er eine ermutigende Entschlossenheit aus, die für uns alle in den schwierigen Stunden hilfreich ist.
18. Boron 1016 BF
Einen großen Teil der ersten Hälfte des Tages verbringen wir mit einer langen Diskussion darüber, was wir jetzt tun können. Es sind nur noch wenige Tage bis Neumond und wir müssen sicherlich Verstärkung holen, um am Nachtschattenturm zu bestehen. Schließlich kommt es zu einem Höhepunkt unserer gemeinsamen Abenteuerzeit: Wir fliegen in Luzelins magischen Korb Richtung Baliho! Emmeran steuert uns sicher über den Blautann. Ich beneide ihn sehr, dass er magisch fliegen kann, er dieses Gefühl spürt, frei über den Dingen zu schweben. Vielleicht bringt es einen dazu, sich so zu verhalten, wie Emmeran es manchmal tut, wenn man die Perspektive von oben kennt aus der ein Priester des Praios, ein Dieb aus den Südlanden oder eine arme Bauersfrau von oben alle aussehen wie kleine, hilflose Würmchen.
Leider werden wir mit der Landung in der Nähe Balihos wieder in die raue Realität zurückgerissen. Wir entscheiden uns dazu, uns aufzuteilen, schließlich ist die Zeit knapp.
Ich gehe mit Rashid zum Praiostempel. Nach einer kurzen Unterhaltung mit einer anfangs skeptischen Tempelwache werden wir zu Hochwürden Lichtmeister Brunn Baucken vorgelassen. Er erlaubt uns, die im Tempel vorhandenen – aber, wie sich herausstellt, leider recht uninformativen – Aufzeichnungen zum Nachtschattenwald und der Burg zu sichten. Allein dass der jetzige Eigentümer, ein Elf mit Namen Firlionel Nachtschatten, seit einiger Zeit an der Akademie des Magischen Wissens zu Methumis weilt und daher schon jahrelang nicht mehr im Nachschattenturm lebte, ist für uns von Interesse: So kann es sein, dass sich dort unbehelligt Unheil zusammenbraut.
Nach einem kurzen, klärenden Gespräch bietet uns Baucken Hilfe an. Es zeigt sich, dass er mir trotz meiner magischen Profession nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber steht und meinen Ausführungen spätestens nach dem Verweis auf die Wüstenei bereit ist, Glauben zu schenken. Er sichert uns die Begleitung von Schwester Praiogard, Donatores Lumini zu Baliho, sowie zweier Gardisten zu, die sich in den Morgenstunden des folgenden Tages zu uns gesellen werden.
Emmeran findet sich mit Liasanya bei Schwester Linai ein. Wie er hinterher berichtet, sichert auch sie Hilfe zu. Ebenso ist der Ausflug von Cordovan erfolgreich. Nachdem er bei dem uns bereits gut bekannten Hauptmann Richolf Emmerbinge den Siegelring vorzeigt, ist dieser bereit, uns zu folgen. Er lässt Cordovan seine Männer befragen und Cordovan wählt sicheren Blickes zwei der Veteranen aus: Gisbert Roßgrimm, ein älterer Stadtgardist, der sich seine Verdienste in den Orkkriegen geholt hat, und Kerling Theuermeel, der Cordovan durch seine klare, unaufgeregte Art überzeugte.
Bevor wir uns alle zur Rondraakademie Schwert und Schild aufmachen, sucht Rashid den örtlichen Phextempel auf. Wie immer bleiben uns seine dortigen Tätigkeiten verborgen.
Bei der Akademie kommen wir schnell auf den Punkt. Baroness Kaarina von Pandlaril-Löwenhaupt zu Ulmenau, Schildknappin der Göttin Rondra, sagt uns sofort ihre Hilfe zu. Zwei Pagen werden sie begleiten, Leoward Butzenweiler und Thalionas von Widderswalden. Beide sind noch sehr jung, man kann nicht nur Cordovan die Sorge um ihr Leben ansehen. Die Teilnahme von Ritter Rainerich Gemiol von Hirscheneck, der mit Baron von Moosgrund bei der 2. Schlacht auf den Silkwiesen kämpfte, wird von uns uneingeschränkt gutgeheißen.
19. Boron 1016 BF
Am nächsten Morgen trifft unsere kleine Gruppe vor dem Gasthaus zusammen. Schwester Praiogard stellt uns ihre beiden Begleiter, Hlutar Niederau und Odelinde Gerdenwald, vor. Schwester Linai hat uns Schwester Asda geschickt, die uns auf der Suche nach unserem Weg durch den Wald sicher eine Hilfe sein werden.
Wir brechen gen Moosgrund auf. Dort treffen wir uns mit dem Baron, der uns mitteilt, dass Aaron von Nadur mit einer kleinen Gruppe vor Ort weilt. Ebenso hat sich Urjel Hadering in Mossgrund eingefunden, um Buße zu tun. Während Liasanya von Nadur aufklärt, was bisher geschehen ist, sprechen Cordovan und Emmeran mit Urjel. Dieser zeigt sich reuig. Er hat seine Abzeichen abgelegt und wirkt auf die beiden anders. Er ist weniger hochmütig, als gerade Emmeran ihn kennen lernen musste – einen Eindruck, den ich später bestätigen kann. Urjel ist bereit, seinen Dienst im Gefolge Cordovans zu tun, wenn der Baron dem beipflichtet.
Erneut in der Begleitung Rashids gehe ich zu Dschelef. Nachdem wir kurz mit ihm über das bisher Geschehene sprechen, fallen ihm – wie man so schön sagt – die Schuppen von den Augen: Der 22. ist der Jahrestag von Borbarads Verbannung. Mich wundert stark, dass ihm das, der sich doch seit Jahren damit beschäftigt, nicht schon vorher eingefallen ist. Er, der sich sowohl mit Sternen- und Tageskonstellationen als auch mit Borbarad beschäftigt, kann in dieser Sache zwei plus zwei nicht zusammenrechnen. Ich spreche mit Dschelef ab, dass ich morgen früh noch einmal mit unserer Gruppe bei ihm vorbeikomme.
Emmeran trifft sich vor einem gemeinsamen Abendessen beim Baron noch kurz mit der Hexe Lenora Erlenkamm. Wie er uns später mitteilt, hat sie den Nachtschattenwald überflogen und dabei die Nebelwasser in Augenschein genommen. Den größten See habe sie wegen einer Nebelbank von keiner Seite in Augenschein nehmen können.
Beim gemütlichen Abendessen, dem wahrscheinlich letzten für wieder einmal viele Tage der Opfer und Entbehrungen, bekundet Aaron von Nadur sein Interesse, uns zu begleiten. Er wird mit den beiden Kundschaftern Freifrau Geldane Höker von Retosbach und Uribert Weißenstein reisen.
20. Boron 1016 BF
In der Nacht geht Rashid noch einmal nach Moosgrund. Er hat sich, wie er mir später berichtet, erneut zu Dschelef begeben. Dort hat er beobachtet, das Dschelef einen Dschinn des Erzes im Garten des Tempels beschwur. Diesem begegnete Dschelef in großer Unterwürfigkeit. Nach seinem kurzen Gespräch mit dem Dschinn hat er einen kleinen Gegenstand schnell verschwinden lassen, über den Rashid ebenso wenig herausfinden konnte wie über einen ominösen Ring, den Dschelef an seiner Hand trug. Vertrauensvoll sei Dschelef jedenfalls nicht gewesen, auf die meisten von Rashids Fragen hat er nicht geantwortet. Und mit einem Erzdschinn könne man sich schon gar nicht einlassen. Naja, das werden wir wahrscheinlich noch austesten.
Nach dem, was Rashid mir erzählt hat, kann das nicht so lange gedauert haben, wie er weg war. Wahrscheinlich hat er noch etwas anderes gemacht. Vielleicht war er noch bei Urjel und hat sich entschuldigt – wobei, es ist immer noch Rashid, ich sollte meine Phantasie zügeln. Eher ist er wohl nun endlich mannhaft auf die alte Forderung zum Duell eingegangen, aber nicht ohne sich vorher einen phexischen Vorteil genommen zu haben. Zu unser aller Vorteil hat sich, so schließe ich daraus, dass sowohl Rashid als auch Urjel morgen unverletzt mit uns reisen, Urjel es gut sein lassen. Aber das ist alles reine Spekulation.
Nach einer dieses Mal ruhigen Nacht begeben wir uns am morgen wie abgesprochen zu Dschelef. Er gibt uns einen Ring zur Unterstützung, mit dem man einen Dschinn des Erzes rufen kann – nach den Ausführungen Rashids bin ich darüber wenig erstaunt. Was mich erstaunt ist, dass Cordovan den Ring nicht gleich zerstören will. Dschelef gibt uns ein paar Hinweise, wie wir dem Dschinn mit großer Überzeugungskraft entgegentreten. Den Ring aktiviert der Träger mit dem sprechen des tulamidischen Wortes für Erz. Der Dschinn selbst hat wohl einen eigenen Kopf und kann gehen, sobald er nicht mehr mag. Der Träger kann ihn aber auch selber wieder wegschicken. Da sowieso nur ein Wunsch an den Dschinn gerichtet werden kann, ist der Dschinn wahrscheinlich nicht lange von Diensten, es sei denn, man gibt ihm den Auftrag, den Pandlaril auszutrocknen oder dem Baron von Falkenberg eine große Burg zu bauen. Von wenigstens eben so großem Nutzen wie der Dschinn-Ring ist ein Anhänger, den Dschelef uns mit gibt. Dieser schützt den Träger vor Magie. So waren jedenfalls Dschelefs Worte, wobei ich mir keinen Schutz vor jeglicher Magie vorstellen kann. Ich bin jedenfalls ob dieser beiden mächtigen und seltenen magischen Artefakte, die uns ausgehändigt wurden und die ich vorsichtshalber erste einmal an mich genommen habe, gespannt, wie sie sich auswirken.
Nach dem kurzen Besuch bei Dschelef trifft sich unsere illustre Runde am Fuße der Burg zu Mossgrund. Wir werden auch vom Baron mit einer kleinen Gruppe unterstützt. Avon Nordfalk von Moosgrund schickt uns seinen Kundschafter Rondraich von Altweiler, die Soldatinnen Rovena Brauer und Heiltrud Fuxfell sowie die Kämpfer Sadelhold Dürrnwiese und Bärnhelm Kaltenhusen.
Durch die vielen uns begleitenden Kundschafter schaffen wir es, schnell durch den Wald zu den Nebelwassern vorzudringen. Dort jedoch versagt ihnen ihr Können den Dienst. Stundenlang irren wir um die Seen, immer wieder treffen wir auf Lichtungen, die wir bereits überquert, auf Felsen, die wir bereits markiert und auf kleine Wege, die wir bereits beschritten hatten. Eine mächtige Magie muss uns unsere Sinne verleiten lassen. Ich konzentriere mich und schaffe es, mein Rubinauge zu aktivieren. Erstaunlicherweise bringt dies niemanden dazu, schreiend wegzulaufen oder mit einem praiosgeweihten Schwert auf mich einzuschlagen. Ich sehe durch mein Auge mächtige Magie aus mehreren Zaubern, die wie ein Gewebe von magischen Fäden um jenen Punkt gelegt wurde, den wir die letzten Stunden nicht erreichen konnten. Wie ein Ritter in deflorierender Absicht mit seiner Waffe eine Dornenhecke um das Schloss, in dem eine holde Prinzessin gefangen ist, beseitigt, kann ich durch Konzentration mittels meines Auges das magische Gewebe zerschlagen und unserer Gruppe den Weg an den großen See in der Mitte der Nebelwasser weisen. Als wir an dessen Ufer treten, endet die mächtige Magie – jedoch bin auch ich am Ende meiner Kräfte. Hoffentlich ist die kleine Gruppe aus tapferen Frauen und Männern, die Cordovan, Emmeran, Rashid und ich nun in den Kampf gegen die Sklaven Borbarads führen, weniger ausgelaugt. Ach, könnte ich doch einfach in einen Korb steigen und davonfliegen…doch dieser Gedanke geziemt sich eines aventurischen Helden nicht!
Aus den Aufzeichnungen von
Wolfhart Raibridar von Horigan zu Welmshof,
Baron von Falkenberg, Ehrenbürger von Gratenfels,
Adept der Schule der Beherrschung zu Neersand
Beauftragter des Herzogs Waldemar von Weiden
dpa says:
Dschelef und der Dschinn, sicher ist es bei einem Erzmagier und Meister-Elementaristen wohl eher Vertrautheit denn Unterwürfigkeit, die sich im Umgang mit einem Dschinn zeigt.