Spurensuche in Milwaukee
Milwaukee, der 05.09.2008
Aufzeichnungen Carl Mirrowls
Es ist mittlerweile schon 4.45 Uhr und wir drei, Sam, John und ich, Carl Mirrowls, sitzen in der Karre von John immer noch vor dem Gelände mit dem Lagerhaus, von dem Sam vorhin die zwei aufmüpfige Mexikaner vertrieben hat. Es ist uns klar, dass hier und jetzt nichts mehr passieren wird, was uns bei unserem Fall oder sonst irgendwie – in Form einer langbeinigen Blondine ist einem meist geholfen mitten in der Nacht – weiter helfen kann. Es ist John, der auf die Idee kommt, die Bewachung endlich aufzugeben und uns in ein paar Stunden zu treffen, um die Adresse der jüngsten der verschwundenen drei Lieferungen aufzusuchen.
Wir treffen uns um 12.00 Uhr in Martha’s Diner, die Puerto Ricanerin hinter dem Tresen hat noch ein paar eingepackte Thunfischsandwiches da und der Koch macht, Johns Miene nach zu urteilen, ein ganz brauchbares Omelett. John ist ziemlich munter für die paar Stunden Schlaf, die hinter uns liegen, und fordert relativ penetrant, dass wir einen Polizisten, mit dem wir mal in einem Fall zusammen gearbeitet haben, anrufen, damit er uns bei dem Fall hilft. Sein Name ist Alex, ich glaube Conley war sein Nachname. Er arbeitet fürs FBI.
Kaum haben wir uns entschlossen, endlich aufzubrechen, ruft Alex auch glatt an. John scheint sowas wie einen sechsten Sinn zu besitzen. Als wir drei an der angegebenen Adresse ankommen, ist Alex schon da. Er hat von Helena zusätzliche Informationen bekommen: die erste Lieferung hat Milwaukee über den Lake Michigan und dann auch nicht direkt am Hafen, sondern über Port Washington und den Highway erreicht. Von da ist dann ein Teil von ihr vielleicht sogar noch einmal innerhalb der Stadt umgelagert worden. Milltrack Hauling soll daran beteiligt gewesen sein.
Das Gelände, vor dem wir stehen, besteht aus einer Lagerhalle mit zwei Toren sowie einem älteren Backsteingebäude, das früher wohl auch Teil der hier überall zu findenden Industrieanlagen war. Die Gegend ist ganz schön herunter gekommen, ein paar Blocks weiter ziehen aber schon die ersten Yuppies in die Lofts, die hier in den Gebäuden entstehen. Während wir noch diskutieren, was wir jetzt eigentlich genau machen wollen, fährt ein kleiner Lieferwagen, ein alter Ford Econoline, auf das Gelände. Er gehört der Aufschrift nach zu urteilen einer Firma namens Mike’s Electric. John, geistesschnell wie immer, stürmt auf den gerade aussteigenden Fahrer zu und gibt sich als Beamter des Grundbuchamts aus.
Erstaunlicherweise bekommt er so heraus, dass die Häuser hier schon länger nicht mehr genutzt werden. Ich zünde mir erst mal eine Zigarette an. John beleibt hartnäckig am Ball und bohrt bei der immer seltsamer werdenden Story des Fahrers auf den Grund – wenn er hier Kabel verlegen soll, wer hat ihn dann angerufen? Wir bekommen einen Namen genannt: Olson. Aber der Fahrer, von dem wir im Laufe der kommenden Stunde noch erfahren, dass er Gary heißt, scheint ihn schon nicht mehr aufsuchen zu wollen. Sam und ich quatschen ihn noch ein bisschen zu, während Alex und John sich auf den Weg in das Gebäude machen.
Gary stellt sich schnell als kleiner Hehler heraus. Und Olson, genauer: die Olsons, drei Brüder namens Lars, Sven und Jim, rufen ihn an, wenn sie Waren haben. Jetzt ist er aber auf eigenen Antrieb hergekommen, da sie sich seit gut einer Woche nicht mehr gemeldet haben.
Alex und John wird auch schnell klar, warum. Die beiden erreichen in einem der oberen Stockwerke eine Wohnung. Während Alex versucht, etwas über die Wohnung herauszufinden, indem er mit seinem imaginären Freund quatscht, klopft John bereits an der Tür. Ein abgewrackter Typ mit Knarre öffnet, lässt John aber nach seiner Grundbuchgeschichte einfach stehen, so dass Alex und John ohne große Schwierigkeiten in die Wohnung kommen. Diese ist total versifft, was einen aber nicht wundert, sobald man die drei Olsons in ihrem Wohnzimmer sitzen sieht: Lars und Jim sind nicht mehr ansprechbar, Sven kippt sich den Wiskey literweise hinter die Binse und schaut sich eine Wiederholung von Oprah an, da er LA Law nicht mehr folgen kann.
Alex nimmt Svens Waffe an sich und startet das, was eigentlich ein kurzes Verhör werden sollte, sich aufgrund des Zustandes der Olson-Brüder aber als enervierendes Puzzlespiel herausstellt. Sven wartet auf DEN. DER hat eine Lieferung abgeben, die sich Lars und Jim trotz Warnung von ihrem Bruder angesehen haben. Das, was sie da gesehen haben, war offensichtlich unerfreulich, denn Lars und Jim erzählen ihrem Bruder von Leichenteilen, die jemand verschicken würde. Gar von einer Mumie sprechen sie. Sie gehen noch einmal herunter und jetzt wird es anscheinend richtig unerfreulich, denn seit dem sind sie die apathischen Holzköpfe, wie sie nun auf dem Sofa zu begutachten sind.
Während Alex die Befragung aufgibt und den Rest der Wohnung durchsucht, lässt John nicht locker und versucht, weiteres aus Sven Olson herauszubekommen. Sven rauft darauf hin seine letzte Kraft zusammen und wirft ein Glas nach John und er trifft sogar den richtigen der vier. Alex findet währenddessen einen Lieferschein über zwei Kisten, der als Datum den 30.08. trägt: Volltreffer!
Sam und ich lassen zur gleichen Zeit den armen Gary laufen und schauen uns in der Halle um: sie ist bis auf einen alten Wagen leer, hat aber an der Rückwand mehrere verschlossene Verschläge. Nur einer steht offen, seine Tür ist mit Gewalt entweder von außen aufgehebelt oder gar von drinnen herausgedrückt worden. In dem Verschlag finden wir eine Metallkiste größeren Ausmaßes sowie Blutspuren an Wand und Boden. Nachdem wir die anderen beiden aus der Wohnung der Olsons abgeholt und dabei die Schlüssel für die restlichen Verschläge mitgehen haben lassen, schauen wir uns die Halle noch einmal genauer an. Die anderen Verschläge beinhalten Hehlerware, um die sich die Polizei – ich habe Neill angerufen, der uns ein wenig Zeit für weitere Nachforschungen einräumt – kümmern wird. Sam nimmt sich mit seinen übernatürlichen Fähigkeiten noch einmal der Kiste an. Er berichtet, dass er zuerst aus einer Perspektive innerhalb der Kiste sieht, wie diese aufgemacht wird und sich zwei Gestalten darüber beugen. Dann wechselt die Perspektive. Er spürt, wie sich jemand wahnsinnig erschrickt und dann große Schmerzen hat. Es kommt zu einem Kampf, den die beiden draußen offensichtlich verlieren.
Da das ganze 5-6 Tage her sein soll, fügt sich so langsam das Bild zusammen, auch wenn John und ich im Detail noch einige Ungereimtheiten ausgemacht haben, die aber auch vielleicht unserer etwas penibleren – wir würden sagen: genaueren – Art geschuldet sind.
Jedenfalls haben wir uns jetzt erst einmal einen Kaffee und eine weitere Zigarette verdient, bevor wir uns zu der Lagerhalle des ersten, ältesten Vorfalls aufmachen. Sie liegt in einem Gebiet außerhalb der Stadt, bei dem wir gegen 15.00 Uhr eintreffen. Wir sehen einen jungen Mann namens Will auf einer Ameise Waren auf dem Gelände rumfahren, den John auch nur deswegen nicht weitere 5 Minuten vollquatscht, weil Sam ihm dankenswerterweise in die Parade fährt.
In dem kleinen Bürogebäude der Anlage kann John wiederum mit seinem ihm eigenen Charme punkten. Irene Miller, die Dame Edna des Transportgewerbes, ist aber auch ein dankbares Opfer für „Leicester“, wohl das old-school Alter Ego von John. Wir versuchen es mit der Geschichte, die wir gestern schon benutzten: wir sind im Auftrag von Maverick unterwegs. Irene erzählt uns, dass Maverick vor knapp 40 Tagen eine Sektion bei ihnen gemietet hat, dann eine Lieferung größeren Umfangs hat einlagern lassen und dass aus dieser mehrere Male etwas abgeholt wurde. Es stehen aber immer noch drei Kisten in Mavericks Sektion.
Diese schauen wir uns in gestuft legaler Weise (aufmachen, unseren imaginären Freund reinschauen lassen, aufbrechen) an: sie sind alle aus Eisen und unterschiedlich groß, aber nicht mit den Maßen, dass man eine Person bequem unterbringen könnte. An einer ist ein Schriftzug abgeblättert, man kann aber noch „Fort Henry“ erkennen. In ihr finden die drei anderen einen Clip eines alten Sturmgewehres, wie man es wohl kurz nach dem Krieg genutzt hat, sowie in einer der anderen Kisten zwei gleich betagte Gasmasken. Die letzte Kiste beinhaltet Laborutensilien.
Ich widme mich währenddessen Irene, die sich wundert, dass Maverick erneut jemanden schickt, wo doch vor zwei Tagen erst unser „Kollege“ Simmonds da war. Der kann aber allein schon deshalb nicht zu uns gehören, da er wohl einen seriösen Eindruck hinterlassen hat und darüber hinaus gut aussehend war. Wenigsten ist der Chippendale nach Irine auf eine Brille angewiesen.
Nun lassen wir John doch auf den armen Will los, der nach einer kleinen Taschengeldauffrischung durch Alex auch endlich ins reden kommt. Er hat Roger, dem Fahrer von Milltrack Hauling, mindestens drei Mal geholfen Dinge abzuholen. Das letzte Mal war dies vor 24 Tagen der Fall. Einmal haben sie 5-6 Kisten aufgeladen. Dabei war Roger von zwei Mexikanern begleitet worden.
Diese Information veranlasst uns, noch einmal die Halle aufzusuchen, bei der wir heute Nacht die beiden Mexikaner getroffen hatten. Sam wird zunehmend ruhiger. Sicherlich ist er immer noch stinkig, dass wir die nicht einfach aufgemischt und dann die Halle gestürmt haben. Seine Laune wird beim Anblick von Doris, der jungen Frau am Empfang des auf dem Lagergelände stehenden Bürokomplexes, sichtbar besser. Wenn auch nur für kurze Zeit, weil dann John mit seinem Alias „Mr. Deeplook“ die Szene übernimmt. Er findet heraus, welche Firma Halle 6, das für uns interessante Lager, managt.
In deren Büros treffen wir zuerst auf Susan, die im Gegensatz zu ihrem Chef, Mr. Butterman, noch für meine Ausführungen nach der bewährten Maverick-Masche empfänglich war. Jedenfalls reichen nach meinen subtilen Drohungen erst Hypnosekünste von Kaa aka John, um den Arsch dazu zu bewegen, uns in die Halle zu führen. Die ist dann bis auf eine Ecke, in der eine Plane mal eine paar Kisten abgedeckt haben mag und die von einem oder einer „Brookfield“ angemietet wurde (immerhin haben wir eine Telefonnummer erhalten) leer. Einzig der Schauer, der mir beim Eintritt in die Halle über den Rücken gelaufen ist, lässt mich denken, dass wir diese Halle nicht zum letzten Mal betreten haben.
Aber jetzt brauche ich erst einmal eine Kaffee und meine Zigaretten sind auch schon arg zur Neige gegangen…