Alles ein furchtbares Mißverständnis
Es ist alles schief gelaufen. Das Gefängnis im Wachgebäude in Dietershafen war feucht und ungemütlich. Der Büttel Kobelheim, ein rauher Veteran, und Büttel Rolf - Rolf Baden - ein junger Milchbart führten mich schlecht gelaunt und durchaus grob in den Zellentrakt unter der Wache. Totschlag haben sie gesagt.
Meine Hoffnung auf ein ruhiges Warten auf die Verhandlung zerschlug sich als ich die Zelle betrat. Meine Mithäftlinge schienen schon zu zweit keinen Spass aneinander zu haben, liessen mich dann aber sofort mitleiden.
Ragnar, ein zwergischer Holzfäller, vollends bedeckt in Haaren oder Leder, war ein echter Stinkstiefel. Er musste gar nicht erst von seinem für sich okkupierten Scheißeimer anfangen da war schon klar, dass er das Feingefühl und den Umgangston einer rostigen Baumsäge hatte. Er behauptete steif und fest, wegen einem Mißverständnis über eine marode Holzlieferung für Holms Schafott hier zu sein. Naja, er war ein Ekel, aber zur Komplizenschaft mit dem Fleischer reichte es in meinen Augen nicht.
Gerd Handdrauf, wie er sich vorstellte, war gut - echt gut. Wie sich erst später herausstellte, war er der am meistens gefürchtete Assassine in Dietershafen, wer sonst würde es wagen, die Frau des Richters zu ermorden. Gerd hielt allerdings eisern an seiner Fassade des gutmütigen, harmlosen Apothekarius und Heilers fest, die man ihm dank seines sympathischen und gepflegten Äußeren durchaus abnehmen wollte. Wie gesagt, ein Profi.
Damit nicht genug gestraft, öffnete sich die Zellentür ein weiteres Mal und ein vierter Häftling wurde in die jetzt schon zu enge Zelle gestoßen. Theo Tausendschön, ein Halbling und Artist in einem fahrenden Zirkus, saß ebenfalls wegen einem Mißverständnis. So wurde er es zumindest nicht müde zu erklären. In seiner drahtigen, gut gelaunten Art, gekleidet in buntes Zirkuszeug und Leder, glaubte ich ihm sofort, das wenigstens er nur wegen etwas so mundanen wie Beutelschneiderei verhaftet worden war.
In eine Ecke auf zwei zusammengezogene Strohlager gehockt, meinen breitkrempigen Hut tief ins Gesicht gezogen, machte ich mich auf eine lange, qualvolle Nacht gefasst und sinnierte, was eigentlich wann schief gelaufen war.
Im Rückblick war es ein Fehler, den Auftrag anzunehmen. Ohne viel Anstrengung konnte ich mir Ludmillas “Ich habe es Dir ja gesagt” Blick ausmalen - und in der Tat sie hatte. Um ehrlich zu sein, war es bereits ein Fehler vor jetzt fast drei Jahrzehnten sich mit dem kislevitischen Händlerfürst, dem zwergischen Söldnerhauptmann und dem Kapitän aus Marienburg volltrunken auf dieses abgekarterte Würfelspiel um “die Zukunft” einzulassen. Aber das ist eine Geschichte für ein anderes Mal - außerdem hätte ich dann auch nie Ludmilla kennengelernt.
Bogrosch Bökelschlucht war ein notorischer Händler, der seinen Profit aus dem Elend anderer Leute zog. Und er bezahlte immer gut - zu gut für einen Auftrag von Marienburg nach Dietershafen. Das Unglück nahm seinen Lauf als ich auf dem Schiff diese zierliche Gesandte aus Ulthuan traf und Bogrosch meinem Faible für elfische Poesie und Schriftstellerei Gewahr wurde. Nicht nur, dass es mich damit aufzog, dem “flachen Hungerhaken schöne Augen zu machen”, nein er verspottete mich die restliche Fahrt über für meine Liebe zu den feinen Künsten.
Zugegeben, mein Aussehen legt einen anderen Schluss nahe: durchtrainiert, groß, Schultern, Nacken und Arme mit martialisch-urtümlichen Tätowierungen meines Volkes bedeckt sieht man mir meine Herkunft aus den hohen Häusern Ulthuans nicht mehr an. Mit den schwarzen Haaren und leuchtenden grünen Augen verwundert mich auch kaum, dass Ludmilla schon mal von ihrer “Wildkatze” spricht, wenn sie sich mit ihren Freundinnen unterhält. Wie dem auch sei (diese Frau raubt mir noch den Verstand), nur selten vermutet man unter meinem langen Ledermantel und dem breitkrempigen Hut etwas anderes als einen groben Kämpfer.
Offenkundlich wurde mein Fehler, als Grobosch kurz vor Dietershafen mir derart beharrlich auf die Nerven ging, dass ich mich zu einer kurzen, harten Geraden hinreißen ließ. Als die kleine Kampfsau mit blutüberströmten Gesicht dann nach dem Dolch griff, setzte ich mit einem kurz entschlossenen Stopper gegen den Hals nach. Wie konnte ich ahnen, dass jemand dessen Schwerpunkt aufgrund der Stummelbeine und Fettplauze eigentlich auf dem Boden war, derart ungeschickt taumeln und über die Reling gehen kann. Sein Unvermögen und das Gewicht des Kettenhemdes taten ihr übrigens. Umbringen wollte ich ihn nicht, aber ich muss zugegeben, dass ich schon bessere Männer habe sterben sehen.
- aus den Reiseerzählungen
von Malrieth “Maru” Ruvindirion