Im Kerker von Dietershafen
Unsanft reißt mich ein herunter purzelnder Backstein aus den Gedanken. Der Häftling aus der Nachbarzelle will durch die offensichtlich geduldig von Generationen von Gefangenen präparierte Wand Handel mit uns treiben. Krächzend, beunruhigend konzentriert, so als wolle er uns von seiner geistigen Stabilität überzeugen, stellt er sich mit Anton Neissewitz vor.
Ein Blick durch die Mauer verrät einen vor Krankheit triefenden, mit faulenden Salzfischen feilschenden Mann am Rande eines Zellenkollaps, aber das ist scheinbar genug, um meine Zellengenossen mit Begeisterung zum Feilschen zu animieren. Mir geht er auf die Nerven, aber leider ist die Wand noch dazwischen. Ragnar ergreift Besitz von einem Backstein und verstaut ihn zusammen mit seinem anderen Schatz, dem Notdurftkübel. Theo nutzt die kaputte Wand und steckt eine Handvoll Steinchen als Munition ein (dabei hat er gar keine Schleuder.. außer er trägt sie als Unterhose).
Zum Glück muss der Bazar schließen, als die Insassen hören, dass der Oberrichter und Stadtrat Ole Tussmeier (Morai-Heg möge seiner Frau gnädig sein) in Begleitung des Inquisitors Ernst Weidenfeld sowie einiger Wachen den Zellentrakt betreten. Weidenfeld, Kriegspriester des Sigmar, ist ein gemütlicher, dicker Mann mit jovialen Gesicht, der für seine Entschlossenheit gegenüber dem Chaos aber auch für seine moralische Flexibilität in allen weltlichen Fragen bekannt ist.
Uns gelingt es aus der Zelle mitzuhören, dass Weidenfeld entgegen der beharrlichen, aber gegenstandslosen Proteste des Oberrichters die Ermittlungen in der Angelegenheit Holm und anhängiger Verfahren übernommen hat und verlangt, dass die anderen Personen in seine Obhut überstellt werden. Tussmeier würde auf diese Weise um seine Rache an dem Attentäter betrogen und muss darüber hinaus fürchten, dass die ein oder andere “Unregelmäßigkeit” in der Strafverfolgung auffallen wird.
Nachdem Weidenfeld sich Holm, in der Zelle kauernd und irre kichernd, angeschaut hat, insistiert er erneut “die anderen sehen zu wollen” und steht kurz darauf bei uns in der Zelle. Er erkundigt sich mit geheucheltem Interesse nach unseren Geschichten und scheint uns dabei grübelnd nach einer Verbindung zu Holm zu mustern. Mit dem üblichen Gesalbe von Gerechtigkeit und heiligen Untersuchungen überlässt er uns gnädigerweise dem Dunkel der anbrechenden Nacht.
Vorher gibt es noch ein hastig heruntergeschlungenes Mahl aus Salzfischen (yak) und Wasser, das Anlass gibt die Verhältnisse in der Zelle zu ordnen. Ragnar ist gierig und besitzergreifend, Theo hungrig und zu klein, Gerd hält an seiner zivilisierten Fassade fest und ich werde mir ganz bestimmt nichts weg essen lassen. Zum Glück ist ein Tag in der Zelle nicht genug uns Moral und Anstand vergessen zu lassen und so werden wir alle satt und ich richte mit Theos Hilfe (und Ragnars annektierten Teller) einen Auffang für Regenwasser ein.
Des Nachts wachen wir auf, weil Holm beharrlich vor sich hin faselt und uns im folgenden Gespräch für die Chaosgötter persönlich hält: Khorne, Blutgott und Herrscher der Schlachten; Nurgle - Meister der Pestilenz, Herr über Siechtum und Verfall; Tzeentch, Meister der Mutation, Magie und Intrigen; und Slaanesh, Prinz des Chaos, Herr über die dunklen Begierden. Gerd lässt sich auf das Spiel ein und befiehlt Holm als Personifikation Slaanesh endlich die Klappe zu halten. Als hätte ich das nicht schon ohne das Getue gesagt. Es gelingt nach einer Weile wieder einzuschlafen und damit endet unser erster Tag im Kerker von Dietershafen.
- aus den Reiseerzählungen
von Malrieth “Maru” Ruvindirion