Der Metzenschnitter von Baliho

Die Gruppe brach am 16. Travia 1016 BF aus Anderath in Richtung Baliho auf, um den Erzählungen über Morde an leichten Mädchen in den Straßen der Reichserzstadt im Süden Weidens nachzugehen. Der Winter hielt die nördlichste Provinz des Kaiserreiches zunehmend in seinem Griff und schon seit den frühen Morgenstunden begleiteten leichter, aber steter Schneefall und schneidiger Wind die Reise. Die Menschen der Region vermieden es aus gutem Grund, zu dieser Zeit überhaupt unterwegs zu sein. Liasanya beobachtete im Inneren der Kaleschka ihre beiden Begleiter Emmeran und Wolfhart, denen die Kälte trotz guter Winterkleidung und windgeschützter Kaleschka offensichtlich zusetzte. Vergeblich kuschelten sich die beiden in ihre Mäntel und in den bitter kalten Morgenstunden auch aneinander. Die Firnelfe erduldete das stickige Halbdunkel der Kutsche stoisch und sehnte sich nach dem frischen Wind, der draußen mit dem seidigen Schnee spielte.

Die Reichsstraße nach Baliho verlief entlang des Pandlarils, an dessen Ufern die Silberweiden eisigen Kristallen gleich aus dem Wasser ragten. Raureif, Eiseskälte und Feuchtigkeit hatten die für die Gegend charakteristischen Bäume in Gebilde aus dem Reich der Feen und Elfen verwandelt. Irgendwann in der Mitte des Tages erspähte Boril in der Ferne nahe der Straße ein kleines Rudel Wölfe, das um einen großen Baum herum streichte. In gebührender Entfernung hielt der norbardische Kutscher die Kaleschka an und machte Wolfhart, Emmeran und Liasanya darauf aufmerksam, die daraufhin ausstiegen und sich selbst ein Bild machten. Auf Emmerans lautes Rufen antwortete niemand, so dass die drei sich nach kurzer Beratung dem Rudel vorsichtig näherten. Mit einem Blick auf den knietiefen, pulverigen Schnee entschieden sich Wolfhart und Emmeran für die Schneeschuhe auf dem Dach der Kaleschka und schnallten diese unter die Füße. In den kahlen Ästen des Baumes ließ sich ein Körper erkennen, der dort hängend sein Blut auf den Boden verloren hatte. Die Wölfe streiften hungrig um den Baum herum, geiferten und leckten den blutigen Schnee. Liasanya kannte die largra als unbarmherzige Jäger und suchte in dieser von Kälte und Hunger getriebenen Meute das Leittier. Grimmiges Knurren und gefletschte Kiefer warnten die Firnelfe und ihre beiden Begleiter bereits nicht näher zu gehen. Den Leitwolf im Blick war Liasanya zuversichtlich, einen Angriff vorher zu erkennen.

Aufgrund des verdrehten, reglosen Körper und der ausbleibenden Antwort stellte Emmeran trocken fest, dass das Opfer wohl kaum mehr der Hilfe bedarf, woraufhin Wolfhart erwiderte, dass sie es doch genauer anschauen und begraben sollten. Wolfhart erkundigte sich kurz nach dem Leitwolf des Rudels und schleuderte ihm aus der Ferne einen Horriphobus entgegen. Liasanya erschauderte als das zertaubra des tala nach dem Geist des Tieres griff. Der Horriphobus verschreckte den zuvor noch zähnefletschenden Wolfe und schlug ihn und seine Begleiter in die Flucht.

Bei näherer Betrachtung stellte sich der Körper im Geäst als eine ältere Frau mit weißen Haaren in Winterkleidung einfacher Weidener Machart heraus. Ein kräftiger Ast des Baumes hatte ihrer Schulter zerbohrt, gleich so als wäre sie aus dem Himmel gestürzt. Emmeran kletterte erst zögerlich, dann beherzter in den schnee- und eisüberzogenen Baum und löste die Frau wenig zimperlich aus dem Geäst. Am Boden fand Emmeran auf dem Rücken der Frau einige Löcher, die mehrere Lagen Winterkleidung durchbohrt hatten und tief in das Fleisch eingedrungen war. Liasanya beobachtete erneut die für Wolfhart und Emmeran wohl typische Unterhaltung um das Begräbnis der Frau, in der sie sich erst fragen, ob sie denn müssen und sich schließlich einigten, die Frau auf der Kaleschka nach Baliho mitzunehmen und dort am Boronanger abzugeben.

Gegen Abend erreichte die Kaleschka Baliho. Dort wo sich Pandlaril und Rotwasser vereinten überragte der Burgfried die Brücke zur Grafenstadt, dem nördlichen Teil Balihos. Am Stadttor beantwortete Boril die Frage der Wachen, wer dort reise, knapp mit “Gesandte des Herzogs”. Wolfhart, jetzt wieder ganz der Baron, schlug in die gleiche Kerbe und übertrug mit einem Wink des herzöglichen Siegelrings der überraschten Stadtwache die Tote zum Boronanger zu bringen und ihm im Gasthaus Kaiserstolz und Orkentod Bescheid zu geben, falls jemand die Tote erkennen sollten. Ohne weiteren Verzug lenkte Boril die Kaleschka hinein in die Grafenstadt durch die von Spitzgiebelhäusern gesäumten Gassen, aus denen vereinzelt noch Licht in die kalte Nacht schien. Das Gasthaus lag im südlichen Teil der Stadt am Markplatz, in dessen Mitte die berühmte, tausendjährige Eiche von Baliho stand. Hell erleuchtete Fenster, kräftiger Rauch aus dem Kamin und lautes Stimmengewirr verrieten schon beim Aussteigen aus der Kaleschka, dass der Kaiserstolz und Orkentod gut besucht war. Liasanya atmete noch einmal tief die kalte Nachtluft ein, bevor sie in das von stickiger, warmer, nach Menschenleibern stinkender Luft erfüllte Innere des Gasthauses trat.

Das Wiedersehen mit dem Gastwirt, der sich an Baron Wolfhart und seine Begleiter vom letzten Aufenthalt erinnerte, war herzlich. Nach einem kurzen Gespräch über den letzten Aufenthalt, in dem unter anderem Delian von Wiedbrücks Anheuerung im Kaiserstolz, das Fest und die südländische Schönheit im Nordstern zur Sprache kommen, gab es ein herzhaftes Mahl. Emmeran lenkte das Gespräch geschickt über die schönen Tänzerinnen im Nordstern auf andere Vergnügungen und leichte Mädchen. Der Wirt empfahl Emmeran Maline im Nordstern oder die Gesellschaftsdame Hennya Grünfold anzusprechen. Unter dem Vorwand, dass der Baron gerne Gesellschaft möchte, ließ Emmeran den Wirt seinen Jungen nach Hennya ausschicken. Emmeran hakte ungeniert nach, ob es auch Damen in seiner Preiskategorie gibt, woraufhin der Wirt vom Metzenschnitter erzählte, der für fast ein halbes Dutzend toter Frauen verantwortlich sein soll und die Frauenleichen entsetzllich zurichtete. Unter den Toten waren dem Wirt die Straßenhuren Kupunda und Furgund namentlich bekannt.

Der nach Hennya ausgeschickte Laufjunge kehrte nach einer halben Stunde zurück. Nachdem Hennya nach einer weiteren halben Stunde nicht aufgetaucht war, ließen sich Emmeran, Wolfhart und Liasanya von dem Jungen zu Hennya bringen, die im Hotel Pandlaril logierte. Dort sagte man der Gruppe, dass Hennya das Hotel bereits verlassen hat. Auf dem Weg zurück zum Kaiserstolz fanden sich leider keine Hinweise auf die Gesellschaftsdame noch auf ein Unglück. Im Kaiserstolz war sie ebenfalls nicht aufgetaucht. Eine Runde raubeiniger Männer im Kaiserstolz versuchte vergeblich einen Streit vom Zaun zu brechen.

Von dem Gefühl angetrieben, dass der Metzenschnitter diese Nacht womöglich wieder zuschlägt und dass nicht viel Zeit bleibt Hennya zu finden, trennten sich Wolfhart, Emmeran und Liasanya. Wolfhart erkundigte sich bei den Wachen am Tor danach, wo die toten Frauen gefunden worden sind, um so eventuell einen Hinweis auf ein Muster zu finden. Der diensthabende Stadtwächter kannte den Stand der Ermittlungen nicht und verwies auf Hauptmann Richolf Emmerbinge und den nächsten Tag. Emmeran und Liasanya unternahmen einen weiteren Versuch die Stadt bzw. die Wege zwischen Kaiserstolz und Hotel Pandlaril nach einer Spur abzusuchen - aber auch das ist erfolglos. Im Hotel Pandlaril erhielten Emmeran und Liasanya die Auskunft, dass Hennya dort fest wohnt, aber noch nicht wieder aufgetaucht sei.

Auf dem Rückweg vom Hotel bemerkten Emmeran und Liasanya an der Balihoer Eiche eine Gestalt sitzen. Auf Zuruf zeigte sich keine Reaktion, beim Näherkommen sahen die beiden eine Frau mit blutüberströmtem, aufgebrochenem Brustkorb. Die Untersuchung des Tatorts zusammen mit dem hinzu geholten Wolfhart förderte einige Spuren nahe der Leiche zu Tage, die sich schnell im Matsch des Marktplatzes verloren. Nach Emmerans Einschätzung war bei weitem nicht ausreichend Blut an der Eiche und er vermutete, dass sie woanders getötet wurde. Auf der Leiche fand sich zudem eine krude in die Haut geritzte Gans (das Symboltier der Travia) und das Wort “Schande”. Die Wunden selbst waren tiefe Schnittwunden, zertrümmerte Rippen und ein grässlich aufgestemmter Brustkorb. Nach einer Meldung des Vorfalls bei der Stadtwache zogen sich die Liasanya, Emmeran und Wolfhart zur Nachtruhe zurück. Liasanya saß eine Weile auf dem Bett vor dem einen Spalt geöffneten Fenster und grübelte, warum es erst eines weiteren Todes bedurfte, um die tala wachzurütteln. Der letzte Mord war nur sieben Tage her und die Leiche lag im Keller des Steinhauses am Tor aufgebahrt. Dort sollten sie morgen erneut vorsprechen und “eine Aussage machen”.