Das Kloster Arrat de Mott
“Strahlend steht sie, majestätisch über allen Landen,
feurig, mächtig, wie als Krone, des Höchsten Größten.
Die Sonnes, gülden, adlig, ist PRAios’ Auge, blickend auf die Welt.Mal strafend brennend, dann wärmend jubilierend.
Fanfarenstößen gleich, sind die Strahlen reinen Lichts,
die durchbrechen all das Dunkel, all die Nacht.Lasst uns preisen, was uns Leben gibt.
PRAios’ Auge, Krone, Speer, und einig sein und knien,
vor IHM, der einst sprach: Es werde Licht!”
Lobgesänge und Gebete …. Unablässig eifrig heruntergeleiert. Schon das frühe Aufstehen war eine Qual nach der anstrengenden Reise. Die Praiosandachten, die morgens, mittags und abends stattfinden, sind für mich schon eine Vorstufe der Inquisition. Jetzt kämpfe ich dagegen an, dass mir die Augen zufallen. Meine Gedanken wandern und ich versuche mich noch einmal an alle Einzelheiten seit unserer Ankunft zu erinnern.
Wir erreichten das Kloster am Abend des 05. Rondra. Schon von weitem waren die Spuren der Belagerung am Bergfried klar zu erkennen, da einige Teile der Mauer noch immer eingefallen waren. Der Wiederaufbau konzentrierte sich auf das Kuppeldach des Tempels, das mit Gerüsten eingekleidet war.
Unser Tross wurde freundlich begrüßt, und nach einer kurzen Ansprache Hüter Emmerans wurden unsere Wunden im Hospital von Bruder Ucurius versorgt. Hüter Emmeran selbst wies uns unsere Schlafplätze im Gästehaus zu – ein Zeichen besonderer Wertschätzung wie es anfangs schien, müssen doch die Arbeiter in einem Lager außerhalb der Mauern nächtigen. Allerdings war unsere Unterkunft sehr heruntergekommen: Noch immer waren nicht alle Schmierereien und Verwüstungen der Orks beseitigt, und das schimmelnde Stroh wie auch das vergiftete Fleisch in den Rattenfallen trugen zu dem modrigen Geruch des Gebäudes bei.
Als wir noch dabei waren, das Gästehaus wieder in einen bewohnbaren Zustand zu bringen, erschien Bruder Tobur, der uns umfassend über die Regeln des Klosterlebens belehrte. „Kein Wort der Unwahrheit… Magische Aktivitäten untersagt… Genussmittel und frivole Lektüre führen zur Zerrüttung des Geistes… blah blah… “ – ich horchte nur kurz auf als er uns darauf hinwies, dass der Zutritt zu verschlossenen Räumen strengstens untersagt ist. Aha! Deswegen sind sie wohl auch verschlossen. Oder gibt es da etwas zu verbergen? Das wichtigste zum Schluss: „Stete Pflichterfüllung und Teilnahme an den dreimal täglich stattfindenden Andachten!“ Deswegen sitze ich jetzt hier und höre mir die Gesänge an, von den meisten mit Inbrunst vorgetragen. Neben mir starrt Arthag ins Leere und wiegt sich zufrieden hin und her.
Wieder schweife ich in Gedanken ab. Obwohl wir Bruder Tobur löcherten erfuhren wir nicht viel Neues vom ihm. Die Zuteilung der Arbeit erfolgt durch Baumeister Jandrim, Sohn des Andrasch, der auch die Leitung über das Lager der Handwerker hat. Für alles innerhalb der Mauern ist der Lehrmeister Nicola de Mott zuständig, der uns nach dem kärglichen Abendessen zu sich rief. Der Lehrmeister ist ein hagerer alter Mann von bestimmt über 60 Jahren, der uns mit einem strengen Gesichtsausdruck unfreundlich musterte. Im Kaminzimmer des Bergfrieds berichtete er nüchtern von Ereignissen, die die Arbeit am Tempel erheblich behinderten. Zunächst sprach er von einem Unfall mit Todesfolge, der sich wenige Tage zuvor ereignet hatte und durch den Unruhe bei den Dachdeckern entstanden war. Der Dachdeckermeister Aaron Breitbach war vom Gerüst gestürzt und für die umstehenden Arbeiter hatte es ausgesehen als ob er sich vor etwas erschrocken hatte, das nur er sehen konnte. In der vorherigen Nacht hatte es einen Diebstahl im Kräutergarten gegeben, der noch nicht aufgeklärt war – dort waren fast alle Thonnysblüten verschwunden.
Unsere Neugier war geweckt, wussten wir doch, dass diese Blüten unter anderem dazu dienten, verlorene Astralenergie wiederzugewinnen. Auf Nachfrage erzählte Lehrmeister de Mott von weiteren Vorfällen, die noch länger zurücklagen: Baugerüste waren über Nacht eingestürzt, Bauarbeiter waren grundlos in Raserei verfallen und hatten sich geprügelt, ja sogar der Altar war mit Blut entweiht worden. Alles deutet darauf hin, dass jemand versuchte, den Wiederaufbau zu sabotieren. Lehrmeister de Mott beauftragte uns, weitere Vorfälle zu vereiteln und dafür zu sorgen, dass die Gerüchte um einen Spuk ein Ende fanden. Hüter Bormund, der während des Gesprächs anwesend war und uns die ganze Zeit über herablassend musterte, schien nicht einverstanden und machte eine entsprechende Bemerkung, wurde aber von de Mott zur Ordnung gerufen.
Als wir des Abends allein waren, spekulierten wir, dass der Saboteur wahrscheinlich magiebegabt sein müsse und sprachen über Möglichkeiten, ihn zu entlarven. Zusätzlich beschlossen wir, einen Wachdienst einzurichten. Ich erbot mich sogleich, die nächtlichen Wachen zu übernehmen. Einerseits konnte ich so wenigstens den Andachten in der Frühe fernbleiben, andererseits keimte ein Verdacht in mir auf. Was läge näher als eine verschwiegene Schwester, die sich dieses Häuflein Praiosjünger für einen Racheakt ausgesucht hatte? Vielleicht hatte ich Glück und erkannte die Hexe bevor Wolfhart sie mit seinem Rubinauge identifizieren konnte. Aber was dann?
Meine erste Wache war jedoch ereignislos geblieben. Das Kloster selbst lag still da, und im Arbeiterlager saß eine einsame Wache am Feuer und rührte sich nicht. Wolfhart jedoch erzählte am Morgen von einem weiteren Albtraum – wird er wohl jemals davon verschont bleiben?
Der nächste Tag verlief ereignislos. Während ich den dringend benötigten Schlaf nachholte, befragten Wolfhart und Cordovan die Arbeiter nach den Ereignissen der letzten Zeit. Argoldia und Tibur, zwei Dachdecker, bestätigen den Bericht de Motts. Sie haben Breitbachs Absturz aus nächster Nähe gesehen und erzählen wie der Verunglückte plötzlich aufgesprungen und erschrocken geschrien habe. Dann sei er ins Leere getreten und - obgleich es kurz so aussah als könne er sich fangen – in den Tod gefallen. Beide sind sich sicher, dass dort nichts war, was den Mann so erschrecken konnte, zeigen sich jedoch stark verunsichert und überlegten sogar, die Arbeit aufzugeben.
Gismond und Faldur, die beiden Maurer, die sich geprügelt hatten, spielen den Vorfall herunter. Es ist offensichtlich, dass sie nicht erklären können, was da passiert ist. Cordovan vermutet später, dass sie Opfer eines Raserei-Zaubers waren, wie er ihn selbst einmal miterleben musste. Wenn er davon spricht, legt er immer die Stirn in Falten und sieht grimmig in die Ferne. So wie ich es sehe, bin ich aber doch wohl der einzige, der damals geschädigt wurde.
„Der Herr des Lichts segne…“ – Na endlich. Gleich kommt er zum Ende. Ich bin gespannt ob wir heute Nacht oder morgen etwas Neues herausfinden.