Sterne und Steine
08. Praios 1016 BF
Wir denken über den Angriff der Krähen nach und Wolfhart berichtet von seiner Entdeckung einer Kraftlinie in der Nähe des Klosters. Könnten die unnatürlichen Vorkommnisse mit dem Ort selbst zusammen hängen?
Diese Frage gilt es zu verschieben, denn jetzt wollen wir möglichst schnell der Spur folgen, die uns in die Bibliothek führt. Den Bergfried finden wir menschenleer vor. Wir durchqueren das untere Geschoss und betreten das Skriptorium. Hinter einem massigen Schreibpult, von dem aus man den Raum überblicken kann, führt eine verschlossene Tür ins Treppenhaus nach oben. Auch auf entschiedenes Klopfen rührt sich hier nichts, so dass Wolfhart sich auf die Suche nach einem der Hüter macht, der uns die Tür öffnen kann.
Er findet Hüter Quanion, den Bibliothekar, im Gespräch mit Hüter Regiardon. Wolfhart bittet Quanion um Hilfe bei der Aufklärung des Mordes und zeigt ihm den Hinweis, den wir für die Signatur eines Buches halten. Quanion bestätigt diese Vermutung, besteht jedoch auf Rücksprache mit dem Klostervorstand, bevor er uns den Zutritt zur Bibliothek ermöglichen will, da Ungläubigen aus Prinzip der Zutritt verboten ist. Da Wolfhart zur Eile drängt suchen sie Lehrmeister de Mott direkt auf. Auf dem Weg zur Baustelle entdeckt Wolfhart einen uns unbekannten Mann in Begleitung Hüter Emmerans. Später erfahren wir, dass es sich dabei um Orgrand von Havena handelte, einen reisenden Heiler auf dem Weg nach Greifenfurt.
Quanion trägt dem Lehrmeister unser Anliegen freundlich vor, und dieser stimmt schließlich zu, dass wir das Buch und auch den Arbeitsplatz des Toten unter Aufsicht Quanions untersuchen dürfen. Er verlangt einen ausführlichen Bericht am Abend.
Während ich mit Cordovan im Turm auf Wolfharts Rückkehr warte, betritt Hüter Bormund das Skriptorium und will uns sofort des Turmes verweisen. Nach einem heftigen Wortgefecht, in dem zu meinem Erstaunen auch Cordovan sich hartnäckig den Befehlen des erregten Mönches widersetzt, kündigt dieser an, sich bei de Mott über uns beschweren zu wollen und droht gar mit den Bannstrahlern. Es ist Cordovans Idee, auf der Treppe außerhalb des Skriptoriums zu warten und damit die Anweisungen Bormunds durch eine allzu genaue Auslegung absurd und lächerlich erscheinen zu lassen - am Ende bleibt der Vorwurf, dem wütendem Hüter mit Spott und Respektlosigkeit begegnet zu sein, natürlich wieder an mir hängen. Auch dafür hat Cordovan eine Erklärung: „Seht euch einmal an! Wolfhart und du gehören einfach nicht hierher!“ - Was sonst ist neu?
Wenn Bormund der Saboteur ist, verhält er sich jedenfalls überaus ungeschickt, indem er uns so offen feindselig begegnet. Andererseits: kann man denn aus bloßer blinder Überzeugung, das Richtige zu tun, so engstirnig und verbohrt sein? Die Rückkehr Wolfharts und Quanions reißt mich aus diesen Gedanken.
In der Bibliothek empfängt uns abgestandene, staubige Luft. Quanion führt uns entlang der Reihen von Bücherregalen, die trotz der Verluste durch die Orkbesatzung noch hunderte von Büchern und Schriftrollen enthalten. Als er den Titel des von uns gesuchten Buches nennt, bin ich schlagartig hellwach: „Sagen und Mythen des Finsterkamms“. Schau mal an, und ich dachte schon, die hätten hier nur die Texte zu ihrem aufdringlichen Singsang und die Gebete zur Morgenmittagabendnacht-Andacht abgelegt.
Wir nehmen das Buch mit an Hüter Wismunds Arbeitsplatz, wo einige Aufzeichnungen, astronomische Gerätschaften und Sternkarten verstreut liegen. War etwa schon jemand vor uns hier und hat diese Unordnung hinterlassen? Dazu wären laut Quanion nur er selbst, Hüter Bormund, Bruder Tobur und der hohe Lehrmeister in der Lage gewesen. Wolfhart schlägt vor, in dem Buch nach Markierungen zu suchen, und tatsächlich finden wir zwischen den Seiten des Märchens vom tapferen Förstersohn ein Papier mit handschriftlichen Notizen Hüter Wismunds. Darauf beschreibt er Sternenkonstellationen, die allesamt Unheil, Kampf und Verrat voraussagen. Quanion will die Notizen konfiszieren, wir einigen uns jedoch darauf, de Mott sofort noch einmal aufzusuchen und ihm davon zu berichten. Ein wenig wurmt es mich schon, dass ich nicht noch länger in den Sagen und Mythen stöbern kann, aber die Sache scheint dringend, also stellen wir das Buch zurück an seinen Platz und deponieren – ein weiterer Geistesblitz Wolfharts – einen Bogen Papier von Wismunds Schreibpult darin.
Als wir den Bergfried verlassen, scheint sich ein Teil der Prophezeiungen bereits bewahrheitet zu haben: Unter den Arbeitern ist eine wüste Rauferei ausgebrochen, die Cordovan erst nach einiger Zeit und unter großen Mühen unterbinden kann. Es gibt einige Verletzte, darunter auch mindestens einer der Mönche. Auslöser war einer der Maurer, der eine halbhohe Mauer überschritten hatte, was angeblich großes Unglück bringt. Auch wenn Jandrim mit eiserner Hand für Disziplin sorgt, erkennt man, doch, dass nach den ereignisreichen letzten Tagen bei allen Bewohnern des Klosters die Nerven blank liegen. Bald braucht es gar keinen Saboteur mehr…
Als wir endlich Gelegenheit haben, Lehrmeister de Mott zu berichten, nimmt der unseren Fund zwar zur Kenntnis, relativiert die Wichtigkeit der Prophezeiungen jedoch sehr stark. Das soll einer verstehen: Da kommt die Warnung schon von einem seiner Mitbrüder, und es scheint ihm kaum Sorge zu bereiten, obwohl wir andeutungsweise von unseren Erfahrungen und Erlebnissen der letzten Zeit berichten. De Mott verweigert eine Abschrift des Dokuments, beauftragt auf unser Drängen hin aber Hüter Quanion, den durch die Sternenkonstellationen beschriebenen Zeitpunkt zu bestimmen. Cordovan fragt mehrfach nach dem Sarkophag des Klostergründers, von dem wir erfahren haben, dass er die Belagerung unbeschädigt überstanden hat. Seine Nachfragen werden von de Mott jedoch abgeschmettert oder ignoriert. Viel wichtiger scheint es diesem, uns von Hüter Bormunds Beschwerde in Kenntnis zu setzen und uns zu ermahnen, dass wir den Anweisungen der Brüder unbedingt Folge leisten müssen, wollen wir nicht des Klosters verwiesen werden. Fast könnte man meinen, er wolle unsere Arbeit erschweren oder zumindest verlangsamen, oder ist auch das nur blinde Prinzipienreiterei. Man fragt sich, wie es diese Praiosgläubigen zu so viel Macht und Ansehen bringen konnten, wenn sie mit ihren Mitmenschen so umgehen wie mit uns und wenn sie so wenig in der Lage sind, mit Problemen und Krisen fertig zu werden – ein Gedanke, den ich wohlweislich für mich behalte.