Die drei Beauftragten und der Waschzubermörder
07. Rondra 1016 BF
Emmeran bricht auf, damit er sich außer Sichtweite des Klosters auf seinen Besen und dann in die Lüfte schwingen kann, um schnell den möglichen Weg des Reiters nachzuverfolgen, dessen Pferd wir aufgegriffen haben. Cordovan begleitet ihn, um auf sein Pferd aufzupassen, während Emmeran seine Runde dreht. Die Absprache, dass sie bis Einbruch der Dunkelheit zurück sind, um wieder einen Teil der Wache zu übernehmen, halten sie nicht ein, da Emmeran, wie er mir am nächsten Tag berichtet, länger brauchte als angenommen. Außer einem großen, dunklen, fliegenden Etwas hat er nichts bemerkt. Von einer kurzen Unterhaltung, in der Cordovan versucht von Emmeran zu erfahren, warum er nicht auch einen Reisekorb an seinen oftmals eher unhandlich wirkenden Spieß befestigt um uns mitzunehmen, erfahre ich nichts.
Ich denke noch einmal über den Onyx nach, den der Reiter bei sich hatte. Der Stein ist der heilige Stein der Hesinde, mit dem man unter anderem Sphärenreisen erleichtern kann. In der Alchemie repräsentiert er das Element Kraft, die magische Energie, die in Manchem wohnt. Unter Kundigen wird der Onyx mit dem Attribut Erleuchtung und der Macht über Außersphärisches verbunden. Gut, dass Emmeran den Kasten mit dem Onyx schnell an sich genommen hat und die Praios-Brüder ihn nicht zu Gesicht bekommen haben. Vielleicht kann er uns noch einmal nützlich sein.
08. Rondra 1016 BF
In der Nacht nehme ich wieder meinen Platz auf dem Gerüst ein. Es muss kurz nach Mitternacht sein, als ein Feuer im Lager unterhalb des Klosters ausbricht. Ich mache mich schnell in das Camp der Handwerker auf. Als ich ankomme ist das offensichtlich an zwei Hütten gezielt gelegte Feuer bereits unter Kontrolle. Ich spreche mit der Wachhabenden, einer Schreinerin namens Andra, die sich zwar nicht ganz sicher ist, aber doch glaubt, dass eine barfüßige Gestalt weggelaufen ist, kurz bevor sie das Feuer bemerkte. In der Dunkelheit macht es wenig Sinn, sich jetzt in die Ebene zu begeben und nach Spuren zu suchen. Und auch am Tage sollte dies jemand machen, der sich damit auskennt.
Ich halte meine Wache bis kurz vor die Frühandacht und lege mich dann schlafen. Kaum haben sich meine schon schweren Lieder zur verdienten Erholung über meine Augen gesenkt, werde ich durch ein bestimmtes Klopfen an meiner Tür geweckt. Die kreidebleiche Novizin Serkia berichtet mir von einem weiteren Vorfall. Der Sterndeuter Hüter Wismund ist tot im Badehaus aufgefunden worden. Im Badehaus treffe ich auf Hüter Emmeran und den Medikus Bruder Ucurius. Hüter Emmeran betraut uns, und damit vorerst allein mich, mit dem Fall. Ich sehe, dass Hüter Wismund tot in einem Zuber liegt. Vor dem Zuber findet sich ein mit Blut verschmiertes Messer. Hüter Wismund ist, wie sich nach näherer Untersuchung feststellen lässt, mit einem stumpfen Gegenstand von hinten ohnmächtig, wenn nicht gar schon totgeschlagen worden – jedenfalls hat er eine sehr dicke Platzwunde am Hinterkopf. Zur Sicherheit hat ihm der Mörder, nachdem er ihn in voller Montur in den Zuber gehievt hat, noch die Pulsadern mit dem Messer aufgeschnitten. Der Boden des Zubers ist mit Hüter Wismunds Blut gut gefüllt.
Ich finde in Hüter Wismunds Tasche einen Zettel, der nach Bruder Ucurius’ Auskunft seine Handschrift trägt. Auf diesem steht „M-S4-17“. Es handelt sich sicherlich um eine Systemstelle in der Klosterbibliothek, vielleicht auch, aber eher unwahrscheinlich, um eine Sternenkonstellation. Ich muss in die Bibliothek, sicherlich findet sich dort ein Buch, in dem Hüter Wismund gerade gelesen und etwas Wichtiges gefunden hat. Wieso sollte er sonst diesen Zettel bei sich haben? Bevor ich mich weiter fragen kann, wie vergesslich der Hüter wohl war, warum er sich das Kürzel aufgeschrieben hat und warum er es dann auch noch herumgetragen und nicht am Platz hat liegen lassen, berichtet mir Bruder Ucurius, dass Hüter Wismund in den letzten Wochen sehr umtriebig war und des Öfteren den Turm bestiegen hat, um den Sternen näher zu sein.
Ich gehe mit Serkia zum Privatgemach des Hüters, um nach weiteren Hinweisen zu suchen. Hier ist jedoch nichts zu finden, der Hüter hat wohl fast ausschließlich in der Bibliothek gearbeitet. Allein, dass Hüter Wismund diese Nacht anscheinend nicht zu Bett gegangen ist, fällt mir auf. Während ich mich vorsichtig durch seine Sachen wühle, bemerke ich eine gewisse Unruhe bei Serkia. Die verdankt sich jedoch nicht wie von mir befürchtet meiner Untersuchungsmethode, sondern dem, dass ihr etwas auf der Seele brennt. Sie habe Hüter Wismund gestern bei der Spätandacht bemerkt und zufällig etwas gehört, was dieser in unsicherer Erregung von sich gegeben habe. „Herr, es ist an der Zeit, sie zu warnen“ waren seine Worte.
Bevor ich mich zur Ruhe lege, da ich meine Augen nicht mehr aufhalten kann, gebe ich Serkia den Auftrag, sich bei den anderen Brüdern und Schwestern zu erkundigen, wann sie Hüter Wismund zuletzt gesehen haben. Hoffentlich kann ich mich nach meiner Bettruhe noch daran erinnern, dass ich den ein oder anderen ansprechen will, ob er Hüter Wismund gesehen hat, um dann zu bemerken, dass dies ja sicherlich schon Novizin Serkia erfragte. Dies ist vielleicht eine unauffällige Methode, um herauszufinden, ob ich nicht gerade den Bock zum Gärtner gemacht habe. Schließlich ist Serkia nun schon wiederholt in einen der Vorfälle involviert. Dass sie mir erzählte, was sie von Hüter Wismund kurz vor dessen Tod vernahm, lässt mich jedoch daran zweifeln. Allein der kleine Dämon Misstrauen will mich nicht ruhen lassen.
Nach einer erstaunlich erholsamen Ruhephase kommen gegen zwei Uhr Emmeran und Cordovan zurück. Ich berichte ihnen bei einer späten Mittagsspeise vom Geschehenen. Als wir nach dem Mahl Richtung Turm zur Bibliothek gehen, sehen wir mehrere der im Hof Anwesenden zum Himmel blicken. Wie sehen am Himmel eine kleine Schar Krähen, die sich kurze Zeit darauf in Kleingruppen kreischend auf die Männer im Gerüst und einzelne Personen im Hof stürzt. Während ich Emmeran aus dem Kloster folge, sehe aus dem Augenwinkel, wie Cordovan dem Namen seiner Waffe alle Ehre erweist und mit seinem Rabenschnabel den Krähen den ihrigen stutzt.
Hinter dem Klostertor trennen sich Emmerans und mein Weg. Während Emmeran den Hügel erklimmt, um zu sehen, ob er einen Krähenlenker entdeckt, nutze ich die Aufregung dazu, endlich einen Odem auf den Turm zu zaubern – von außen und damit die Regeln, die uns Hüter Emmeran zu Beginn mitteilte, einhaltend. Am Turm ist nichts zu erkennen, jedoch sehe ich, als ich mich umwende, wie sich in der Ferne aus Nordnordost ein magisches Band in das Tal ergießt. Leider kann ich ihm nicht im weiteren Verlauf folgen, was ich aber bald zu tun gedenke. Ich muss wissen, wohin es fließt, wenn es nicht hier im Kloster endet. Vielleicht findet sich dort dann auch derjenige, der mit großer magischer Kraft nicht nur die Krähen zu ihrem Angriff gebracht hat, sondern auch so viel weiteres Unheil über das Gefolge Praios’ im Kloster Arras de Mott.