Die Freiheit kommt unverhofft
Am nächsten Morgen grübele ich noch, wie es denn gelingen kann, der Verurteilung zu entgehen oder so aussichtslos wie das scheint, dem Kerker zu entkommen. Wie sich herausstellt nimmt Gerd mir diese Frage ab. Glänzend gespielt, findet er ganz zufällig das Chaossymbol Slaanesh in den Zellenboden geritzt und stößt die Kette der Ereignisse an, die Weidenfeld dazu bewegen muss, uns hier heraus zu schaffen.
Mein Schlaf ist für gewöhnlich eher leicht und auch diese Nacht lag ich ein paar Mal wach. Gerd kann das Symbol gar nicht selbst dort angebracht hat, was nur heißen kann, dass seine Assassinen-Gilde es von langer Hand vorbereitet hat, um ihm die Flucht zu ermöglichen. Entweder das, oder das Chaos hat seine Hand nach uns ausgestreckt… ich weiß nicht was mir mehr Sorge bereitet.
Der alarmierte Aushilfbüttel Lohmann, ein wahrlicher Angsthase, holt panisch den Assistenten Weidenfelds namens Mormakar hinzu. Mormakar trägt ein skurrile Brille und scheint auch sonst bizarre, technische Gerätschaften zu studieren. Zudem scheint er halbelfischer Abstammung zu sein und man kann nur hoffen, das der Bastard einen frühen und kinderlosen Tod findet. Währenddessen hat Ragnar das allgemein ausgebrochene Chaos (…) noch vergrößert, indem er die Backsteinwand zu Anton eingerissen hat, um sich dort dem Symbol zu entziehen.
Mit Weidenfelds Ankunft kehrt wieder so etwas wie Ordnung ein. Der Inquisitor befiehlt, das Gefängnis zu räumen und die Häftlinge (Holm, Anton, meine drei Mitgefangenen und mich) nach Bug Krähenhorst zu verlegen. Wenig später finden wir uns aneinander gefesselt im Gänsemarsch auf dem Weg nach eben dort wieder und verlassen Dietershafen.
Der Tag ist regnerisch, stürmisch und dunkel. Die Straße dreckig und rutschig. Es gibt wenig das so deprimierend ist wie in kleinen von Fesseln eingeschränkten Tippelschritten, den Blick fest auf den nassen grauen Boden gerichtet, der Ungewissheit entgehen zu schleichen. Vor Erschöpfung taumelnd benötigen wir Gefangene schließlich eine Ruhepause. Der Tross schleppt sich weiter und erreicht schließlich Gertfrieds Gasthaus am Wegesrand.
Bei der Einkehr im Gasthaus zeigt sich die ganze Grausamkeit der widerwärtigen Inquisition. Während die Herren und Wachen saftiges Fleisch, lecker Eintopf, zünftiges Bier und edlen Wein bestellen, ist für uns nur Wasser und Brot vorgesehen. Wenigstens ist es in der Schankstube warm und so drängen sich die Gefangenen nach kurzer Zeit rund um den prasselnden Kamin.
Leider ist in der Sache unserer Mahlzeit zu allem Überfluss auch noch das Schicksal gegen uns und so verhindern die nachfolgenden Ereignisse, dass wir überhaupt etwas bekommen. Ich will aber nicht undankbar erscheinen, Lileath ist mir viel zu launisch, immerhin leben wir noch und haben zudem vorerst unsere Freiheit wieder. Doch will ich nicht noch weiter vorgreifen.
Während der Wirt noch damit beschäftigt ist, das Essen für die Gesellschaft zu organisieren, platzt plötzlich Oberrichter Tussmeier in Begleitung einer vornehmen Dame und einer Horde wildäugiger, rotbärtiger Nordmänner durch die Tür. Leider erwartet Weidenfeld den Verrat von der falschen Seite und wird, als er Tussmeier entgegen treten will, hart von Kobelheim rücklings mit dem schmiedeeisernen Schürhaken niedergeschlagen.
Als der größte und wildeste Nordmann eine der viel zu langsam reagierenden Wachen eindrucksvoll köpft und damit die kleine Schankstube innerhalb von kürzester Zeit in ein Schlachthaus verwandelt, sind Gerd und ich bereits dabei unsere Fesseln zu lösen. Im Tumult fliehen wir zusammen mit Ragnar und Theo und überlassen den sich trotzig zur Wehr setzenden Weidenfeld seinem Schicksal.
Ein Nordmann nimmt beherzt (und im Gegensatz zu uns bewaffnet) die Verfolgung auf. Erschöpft von der Reise haben wir keine Chance ihm zu entkommen, zudem haben Theo und Ragnar auch viel zu kurze Beine, um dem Nordmann davon zu laufen. Ragnar, Theo und mir gelingt es mit Steinen und Stöcken den Hünen zu fällen. Gerd war wie vom Erdboden verschluckt, kam nach dem Kampf aber dazu. Hastig plündern wir den Toten und nehmen Waffen, eine Schluckflasche und einen Beutel an uns.
Gemeinsam hasten wir entlang der Waldgrenze im Schutz der Bäume und Sträucher weiter in Richtung unser ursprünglichen Reiserichtung, der Burg Krähenhorst. Es dauert noch eine Weile, aber als wir dann auf der Straße einen kleinen Planwagen mit Halblingen entdecken, wird mir klar: manchmal kommt die Freiheit ganz unverhofft.
- aus den Reiseerzählungen
von Malrieth “Maru” Ruvindirion