Eine nächtliche Begegnung
Die Nacht senkte sich über den Schandplatz von Koschtal. Das geschäftige Treiben in der Oberstadt wich der Dunkelheit und der große Platz leerte sich zusehends. Die Bürger Koschtals verschwanden in ihren schmucken Fachwerkhäusern oder eilten auf ein Koschtaler Dunkel in die Gasthäuser und Tavernen. In der Nacht schließlich, die letzten Gäste aus dem Schillernden Krug gegenüber des Schandplatzes waren längst heim gegangen, verließ eine einzelne Gestalt das Rathaus und ging zielstrebig auf die Käfige am anderen Ende zu.
Liasanya saß so gut es die schweren Ketten erlaubten gegen die Eisenstäbe gelehnt und streichelte den Wildkater auf ihrem Schoss. Es schmerzte sie zu sehen, wie der Kater seine am Pranger verstorbene Besitzerin vermisste. Begleitet vom tiefen Schnurren und dem gelegentlichen Auf und Ab der Wachen vor den Käfigen, ließ sich die Firnelfe langsam in den Schlaf gleiten. Feste und schnell näher kommende Stiefelschritte auf dem Kopfsteinpflaster des Schandplatzes rissen Liasanya aus dem Halbschlaf.
Der Fremde war groß mit massig muskulösen Gliedern und der Brust eines Tralloper Riesen und trug doch nur die Robe eines Gelehrten. Langes silbergraues Haar umrahmten ein in Würde gealtertes Gesicht mit einem fein gestutzten Bart. Der Mann wechselte ein kurzes Wort mit den Wachen, woraufhin diese in Richtung Gasthaus verschwanden, dann trat er an ihren Käfig heran.
Als der tuêl sich an ihrem Käfig niederkniete, blickte Liasanya in wache schwarze Augen, die sie bis in das kleinste Detail musterten. Unbewusst umarmte Liasanya den Wildkater fester, wie um sich zu vergewissern, dass sie nicht alleine war. Den Fremden im Blick konzentrierte sie sich auf ihr mandra und lauschte so gut ihr schmerzender Körper erlaubte der Melodie der Welt.
Der Fremde musterte die gefangene Firnelfe und blickte lange in ihre großen, wie Bernstein leuchtenden Elfenaugen. Schließlich sagte er, “Mein Name ist Amando Lacondo da Vanya. Wie ist Dein Name, Kind?”. Die Elfe antwortete im zweistimmigen, ganz eigentümlich schwingenden Laut ihrer Muttersprache, “Feydha Liasanya Sternenruf.” Da Vanya nickte, “Ich verstehe jetzt, warum sie Dich fürchten. Deine Augen haben die Farbe von Ucuris Tränen. Die meisten Menschen können eure Augen nicht lesen, alles was wir in ihnen sehen ist das Leuchten des Lichts, aus dem ihr angeblich stammt, und das Spiegelbild unserer Selbst.” Da Vanya strich sich mit der Hand über den Bart, bevor er fortfuhr, “Was siehst Du, wenn Du mich anblickst, Liasanya Sternenruf?”
Liasanya war irritiert. Der tala schien nicht von hier zu sein und sein freundlicher Blick überrumpelte sie so, dass sie ohne viel Nachdenken die Wahrheit sagte, “Ich sehe einen Mann, der geblendet vom Licht seines Gottes versucht, in die ewige Nacht des Winters hinaus zu blicken.” Liasanya erschrak und verschluckte den Rest.
Da Vanyas Gedanken rasten. Er konnte seine strengeren Brüder Häresie rufen hören, fragte sich selbst, ob sie Magie angewandt hatte, und wußte zugleich, dass diese Elfe alleine hoffnungslos verloren war in der Welt Menschen. Da Vanya erkundigte sich, ob der Junker Wolfhart, Bruder Cordovan oder Emmeran schon hier gewesen sind und fragte nach den näheren Umständen ihrer Verhaftung und den Begegnungen mit dem Magistraten Garubald Bolterbreger und dem Magus Gilmon von Vengensfort. Zum Ende verabschiedete er sich mit den Worten, “Ich hoffe, dass Du in Dir die Güte findest, uns Menschen dieses Unrecht zu verzeihen. Du tust gut daran, nicht zu erzählen, warum Du in die Fremde hinausgezogen bist - scheint es Dir doch wichtig genug, solches Leid zu ertragen.” Auf dem Weg zurück in das Rathaus schmunzelte Da Vanya voller Unglauben über die Erklärungen der Elfe. Wenn es nicht so traurig wäre, hätte er beinahe laut gelacht, als sie mit ihren großen, unschuldigen Augen sagte, “Nein, mit den anderen tala habe ich nicht über den Magistraten gesprochen. Sie haben doch bestimmt gesehen, dass taubra seinen Geist umnebelt, und sind vorsichtig?”
Später in der Nacht erwachte Liasanya. Ihr Atem ging rascher, sie fröstelte trotz der südlichen Wärme, die auch in der Nacht nur wenig nachließ. In ihrem Traum fand sie sich in einem Mahlstrom von zertraubra, der verdorbenen Magie, und ihren Wesen, dichter als jeder Schneesturm. Die Zeit fror und Liasanya versuchte zu fliehen, ohne jedoch von der Stelle zu kommen. Erst als sie den schwarzen Raubvogel hinter sich sah, verstand sie und raste auf das Licht hinter den dunklen Wolken zu. Das Frösteln ihres Traumes verließ Liasanya schließlich, als sie den weichen Stupser des kleinen Katers an ihrer Nase spürte.