Der Auftrag aus der Akademie

Neersand, 02. Praios 1013

Ich befinde mich seit wenigen Tagen wieder in Neersand und bin glücklich, an dem Ort zu sein, den ich für viele Jahre meine Heimat genannt habe. Ich besuchte in den letzten Tagen einige Freunde und natürlich meine Akademie. Dort habe ich all diejenigen Gegenstände untergebracht, die ich in den letzten Jahren aufgesammelt habe und von denen ich ausging, dass sie für die Akademie von Interesse sein könnten. Sicherlich können diese Sachen nun endliche einer gründlichen Untersuchung unterzogen werden. Ich bin schon sehr gespannt, was sich hinter dem einen oder anderen Buch, Ring und was es alles war versteckt.

Zu meiner großen Freude erblicke ich gerade Cordovan, wie er das gemütliche, wenn auch etwas arg beschauliche Stübchen des „Walsachblicks“ betritt. Und wie es der Zufall will, ist Rashid ebenfalls gerade eingetroffen. Sie setzen sich gleich an meinen Tisch und nach einem kurzen freudigen „Hallo“ berichten wir uns auch schon von dem, was uns in letzter Zeit passiert ist. Die aufkommenden Sorgen, wo wohl Emmeran steckt und warum er nicht hier ist, kann der Wirt mit einem an mich adressierten Brief zerstreuen: Emmeran wird sich um einige Tage verspäten, es hat einfach alles ein wenig länger gedauert.

Während Cordovan nach den Schrecken und Mühen während und nach der Schlacht auf den Silkwiesen seine Schwestern aufsuchte, hat es sich Rashid im letzten Jahr offensichtlich sehr gut gehen lassen. Er macht einen entspannten Eindruck. Den großen Teil seiner letztjährigen Reise hat er in Zorgan, der Hauptstadt Araniens verbracht und dort unter anderem den berühmten Spiegelpalast bestaunt.

Ich merke aber schnell, dass Rashid eigentlich etwas anderes umtreibt. Er berichtet, dass ein Mörder gesucht wird, der sogenannte „Schlachter vom Walsach“. Seinen unrühmlichen Namen verdankt er der Art und Weise, in der er seine bisher drei Opfer zugerichtet hat: Er lässt sie wie ein Schlachter ausbluten, einem der Opfer hat er gar das Herz aus dem Leib entfernt. Alle Opfer – zwei Männer und eine Frau – wurden im Fluss gefunden. Auf die Ergreifung des Mörders sind 15 Batzen ausgelobt.

Während wir noch darüber nachdenken, ob wir uns des Falls annehmen wollen, kommt eine junge Elevin meiner Akademie an den Tisch. Ich kenne sie erst seit ein paar Tagen, ihr Name ist Minka. Sie richtet mir aus, dass Corollku, Gründer und Spektabilität unserer Akademie, mich dringend zu sehen wünscht und dass ich auch Vertraute zu dem Treffen mitbringen kann. Zusammen mit Cordovan und Rashid breche ich sofort auf, um die außerhalb der Stadt liegende Akademie noch rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen.

An der Akademie treffen wir Corollku gramvoll in seiner Stube. Nachdem ich ihm versichere, dass ich Rashid und Cordovan mit meinem Leben traue – eine Aussage, die mir nach dem, was ich im letzten Jahr erlebt habe, in dem ich endgültig lernte, wie wichtig es ist, denjenigen, die mit einem für einen gerechte Sache kämpfen, zu vertrauen und für sie einzustehen, bei den beiden leicht fiel – eröffnet Corollku uns, dass der Akademie ein Buch abhanden gekommen ist, von dessen Existenz nur er und die Magistra Gritten Raudups etwas wissen und zu dem nur er Zugang hat. Außerdem ist ein Eleve verschwunden, Laromir, den ich bereits aus früheren Jahren kenne. Er ist ein aufgeweckter, in Corollkus Worten gar „vielversprechender“ junger Mann von nun 23 Jahren, der es leider an Disziplin ermangeln lässt. Daher verwunderte sein Verschwinden vor mittlerweile einem Monat zuerst niemanden, da Laromir bei seiner Familie – sein Oheim Rogoff Gerblöffler wohnt in Neersand – vermutet wurde. Nun denkt Corollku allerdings, dass ein Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen – dem Verschwinden des Buches und des Eleven – besteht, da eine Kontaktaufnahme mit Laromir in der letzten Woche fehlschlug.

Wie lange das Buch, eine dünne Kladde von knapp vierzig Seiten, verschwunden ist, weiß Corollku leider nicht zu sagen. Letzte Woche ist ihm der Verlust aufgefallen, jedoch war er in dem Raum, in dem das Buch aufgehoben war, auch schon seit Wochen nicht gewesen. Das Buch hat einen dicken, roten Lederband, auf der Vorderseite prangt ein Zeichen aus dem Alphabet Zhayad. Über den Inhalt will er trotz mehrerer Nachfragen Rashids und Cordovans nichts preisgeben. Allein, dass es Notizen seines ehemaligen Lehrmeisters beinhaltet und diese von schwarzer Magie handeln, teilt er uns mit. Nachdem er eine weitergehende Nachfrage zum Inhalt nicht beantworten will, vielmehr sie auch in meinen Ohren etwas brüsk abwehrt, geht Cordovan, ohne das Ende des Treffens abzuwarten. Ihm scheint es um das mangelnde Vertrauen auf der einen Seite – Corollku schweigt sich über einige Sachverhalte aus – und das demgegenüber eingeforderte Vertrauen auf der anderen Seite zu gehen. Im gewissen Sinne kann ich ihn verstehen, auch wenn es für mich natürlich außer Frage steht, dass dieses Buch in den Händen meines Lehrmeisters richtig aufgehoben ist. Allerdings lässt Cordovan es auch an Respekt vor einer Spektabilität fehlen, ein Punkt, über den wir noch einmal reden müssen. Wir werden sehen, wie es mit uns in dieser Sache weitergeht…

Nach Cordovans Abgang ist es nun Rashid, der einige bohrende Fragen zu stellen beginnt. Immerhin bringt er Corollku dazu, uns den Ort zu zeigen, von dem das Buch entwendet wurde. Ich bin Rashid sehr dankbar dafür, schließlich liegt er in dem Keller unterhalb der Akademie, über den von uns Schülern und Lehrlingen nur ehrfurchtsvoll gesprochen wurde. Die Neugierde, die ich seit Jahren habe, diesen Keller endlich einmal zu sehen, wird nunmehr befriedigt. Bevor wir jedoch in den Keller herabsteigen, nimmt sich Rashid der Tür an, genauer, er untersucht das Schloss. Er kann keinerlei Fremdeinwirkung erkennen, ein mechanischer Einbruch erscheint daher als immer unwahrscheinlicher. Kaum haben wir die Kellertreppe betreten, fange ich mir eine von Corollkus gefürchteten süffisanten Bemerkungen ein, als er bemerkt, dass ich den „Flim Flam Funkel“ spreche, anstatt meinen Stab zum Leuchten zu bringen. Schön früher tadelte er mich, weil ich diesen Teil der Magie „so sträflich“ vernachlässige. Im Gegensatz zu früher sehe ich jetzt jedoch den Sinn der Stabbindung ein, er kann ja nicht wissen, dass ich bereits damit begonnen habe.

Der Keller ist, nun ja, ein Keller. Etwas verschachtelt und im Vorbeigehen sehe ich halt viele verschlossene Türen. Erlöst werde ich von der Anspannung, endlich hinter eine dieser Türen zu blicken, nach einer Biegung, als Corollku endlich stehen bleibt. Wenn ich es richtig wahrnehme, dann murmelt er ein paar Worte, während er den Schlüssel in das schwere Schloss steckt. Hinter der Tür befindet sich ein Raum mit mehreren Schränken und Regalen und auch wenn ich meine Blicke schweifen lasse und vieles erblicke, dass mich wünschen lässt, Stunden, gar Tage allein in diesem Raum sein zu dürfen, so reiße ich mich doch zusammen, zügle meine Ungeduld und schaue mir den Teil an, der sicherlich zur Zeit der uninteressanteste im ganzen Raum ist: der Schrank, in dem das Buch aufbewahrt wurde und der jetzt nun einmal leer steht. Auch das Schloss des Schrankes wird von Rashid eingehend untersucht und auch hier habe ich den Eindruck, dass mein Lehrmeister einen kleinen Vers aufsagt, bevor den Schlüssel nutzt, um die Tür zu öffnen. Rashid kann erneut keine Spuren finden und spricht aus, was mir vorher schon klar war, nämlich dass dieser Ort sicherlich so sicher ist, wie er eben sein kann und Corollku mit recht davon ausgegangen war, dass hier das Buch sicher verwahrt ist. Wir verlassen den Raum und nächtigen in der Akademie, ein Ritt zurück nach Neersand wäre zu dieser späten Stunde sinnlos.

Neersand, 03. Praios 1013

Wir brechen am Morgen früh auf, um Cordovan beim Frühstück im „Walsachblick“ zu treffen. Und in der Tat ist er gerade zu Tisch. Mich verwundert es im Gegensatz zu Rashid nicht, dass er sich weiterhin als Teil unserer Gruppe sieht – warum auch nicht? – und uns bei der Suche nach dem Buch behilflich sein will. Er könne aber nicht sagen, was er täte, sollten wir das Buch finden. Rashid und ich versuchen ihn auf verschiedene Weise davon zu überzeugen, dass er das Buch, sollte es sich um tiefste schwarze Magie handeln, nicht zwangsläufig zu zerstören brauchte. Schließlich, so mein Einwand, gibt es auch keine guten oder schlechten Schwerter. Allein diejenigen, die die Schwerter führen, vollbringen mit ihnen Taten, die gut oder schlecht sind. Außerdem, dabei pflichtet mir Rashid bei, ist es ein großer Unterschied, ob man von etwas Kenntnis hat oder ob man es anwendet. Allein, auch weitere Argumente Rashids mögen Cordovan nicht überzeugen. Ich bin aber felsenfest davon überzeugt, dass auch Cordovan zum Schluss überzeugt sein wird, dass sich das Buch bei meinem Lehrmeister in den besten Händen befinden wird. An Corollkus Ehre sehe ich keinen Deut Zweifel. Wir verschieben unsere Diskussion auf später und machen uns an die Suche. Es beruhigt mich, dass Cordovan mich begleitet, als der Vorschlag aufkommt, dass wir zum Haus des Oheims aufbrechen, während Rashid bei der Stadtwache Näheres über den ominösen „Schlachter“ herauszufinden hofft.

Beim Haus des Oheims treffen Cordovan und ich wie erwartet niemanden an. Eine kurze Befragung einiger Nachbarn ergibt, dass Laromir noch letzte Woche vor dem Haus gesehen wurde, während die Gerblöfflers bereits seit gut einem Monat niemand mehr gesehen hat. Laromir hat – wohl etwas unwirsch – einer aufmerksamen Nachbarin mitgeteilt, dass sich sein Oheim und dessen Frau bei seinem Vater auf dem Lande befänden.

Als wir uns später im „Walsachblick“ treffen, berichtet uns Rashid, dass die Stadtwache mittlerweile 20 Batzen auf die Ergreifung des Mörders ausgesetzt hat. Die drei Opfer haben wenig gemein. Es handelt sich um einen Schuster, eine Dirne – einen Begriff, den ich recht lustig finde ob dessen, wen er benennt – und einen Hafenarbeiter. Sie wurden alle drei auf der Straße verstümmelt und dann herunter zum Fluss getragen. Auch wenn die Wache daher davon ausgeht, dass es sich bei dem „Schlachter“ um einen starken Mann handeln muss, so denke ich aus meiner Erfahrung mit Hanka, dass dies nicht so sein muss. Interessant ist der Hinweis, dass die Morde vor drei Wochen begannen und seit dem regelmäßig zu erfolgen scheinen. Wir müssen uns also eilen, wenn wir einen vierten Menschen vor seinem Schicksal als Opfer eines blutrünstigen Irren bewahren wollen.

Dass Rashid nicht direkt zum „Walsachblick“ gekommen ist, sondern noch einige Zeit durch Neersand irrte, um einen offenen oder versteckten Phex-Tempel zu finden…nun das muss ich wohl während eines kurzen Fünf-Minuten-Nickerchens geträumt haben.

Aus den Gedanken von
Wolfhart Raibridar von Horigan zu Welmshof,
Baron von Falkenberg, Ehrenbürger von Gratenfels