Echsen, Egel und erste Erkenntnisse
Wir verlassen das Dorf Hügelsteen in Richtung der Sümpfe und durchqueren das nördlich gelegene Hügelland. Mittags informiert uns Mirya, dass wir uns bereits auf dem alten Stegweg befinden und die Reiter ihre Pferde ab jetzt besser führen sollten. Tatsächlich dauert es nicht lange bis wir alle bis zu den Waden im Sumpfwasser versinken, dessen Gefahren wir schon kurze Zeit später auf eindringliche Weise kennen lernen. Mehrere von uns entdecken Bewegungen im ansonsten trägen Wasser, doch wieder ist es Mirya, die uns durch ihre Warnung vor der schlimmsten Überraschung bewahrt. Kaum haben wir Zeit, die Pferde in die Mitte zu nehmen, die zuvor bereits abgelegte Rüstung wieder befestigen oder einen Zauber vorzubereiten, da werden wir auch schon von einem Schwarm Riesenspringegel angegriffen. Die Tiere sind teilweise bis zu einem Schritt lang und fallen über Mensch und Tier gleichermaßen her. Nur mit Mühe töten wir die monströsen Würmer, deren Saugnäpfe ein giftiges Sekret absondern, dass Kleidung und Rüstungen angreift.
Rashid, ansonsten im Angesicht von Gefahr eher unerschrocken, gerät durch den Anblick der fremden Tiere an den Rande einer Panik, und faselt von „giftigem Echsengezücht“. Obwohl Cordovan und auch Mirya beruhigend auf ihn einwirken, wirkt er den ganzen Tag über nervös und gehetzt und nestelt an seinen Verbänden herum um zu prüfen, ob die Wunden sich durch das vermeintliche Gift entzünden.
Zum Glück findet Mirya einen trockenen Fleck für ein Nachtlager, wo wir uns etwas ausruhen können, auch wenn Brennholz für ein Feuer fehlt. Des Nachts ist in der Ferne ein fahles, gelbliches Leuchten zu sehen, das von einer Stelle im Sumpf auszugehen scheint. Rashid glaubt wiederum an eine „Ausgeburt der Echsenkönigin“, während Mirya das Phänomen schlicht als Sumpflichter erklärt.
Am nächsten Tag reisen wir bei beharrlichem Nieselregen weiter, so dass die Stimmung nach einer Weile auf dem Tiefpunkt angelangt ist. Zum Glück entdeckt Mirya bereits nach einem halben Tagesmarsch die Insel, nach der wir suchen. Es ist ein beruhigendes Gefühl, nach so langer Zeit wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, der langsam ansteigt, nur um dann auf der anderen Seite der Insel jäh wieder abzufallen – hier vermutet Mirya die Leichen des vor langer Zeit besiegten Bauernheeres. Die Westseite der Insel ist von Bäumen und Sträuchern bedeckt, die bis in den Sumpf hineinragen. Schnell entdecken wir einen verlassenen Lagerplatz und einige Spuren von Pferden, doch werden wir abgelenkt, als etwas sich zwischen den Bäumen bewegt. Auf unsere Aufforderung verlässt ein Mann von etwa 35 Jahren seine Deckung, der in schlichte, zweckmäßige Lederkleidung gekleidet ist und uns angstvoll ansieht. Wahrscheinlich hat nur die Gegenwart Cordovans, der unschwer als Geweihter zu erkennen ist, ihn daran gehindert, die Flucht zu ergreifen.
Der Mann stellt sich als Rauert vor und behauptet auf der Insel zu wohnen. Er führt uns zu einer einfachen Hütte neben einem Köhlermeiler am nordöstlichen Rand des Waldes und lädt uns ein, sein Feuer und eine dünne Suppe zu teilen. Er berichtet von drei Männern, die seine Insel vor einiger Zeit besucht, ihn aber nicht entdeckt haben. Er beschreibt den Anführer als eine grausige Gestalt mit wehenden Haaren, einem pechschwarzen Mantel und einem Stab, dessen Pferd ihm „nicht von dieser Welt“ schien. In Begleitung des Mannes waren zwei Kämpfer, die ihm halfen, in einer Vollmondnacht etwas auf der Insel auszugraben. Nach zwei Tagen, so Rauert, seien die Fremden wieder in Richtung Nordosten verschwunden. Natürlich lassen wir uns die Stelle zeigen, an der die Fremden – die Beschreibung erinnert uns stark an den Schrecken der Tobimora – gegraben haben, und finden ein geöffnetes Grab, in dem noch einige Knochen – darunter ein Pferdeschädel – liegen.
Da Rauert erwähnt, dass seine Familie schon seit Generationen auf der Insel wohnt, frage ich ihn nach Geschichten über die letzte Schlacht des Bauernheeres im Jahre 932 BF. Der Köhler bestätigt, was wir schon wissen, ergänzt aber eine Erzählung seines Großvaters, die sich nicht mit den Berichten deckt, die Rashid im Archiv zu Ysilia erhalten hatte. Demnach gab es vor dem Untergang des Bauernheeres noch Verhandlungen zwischen dem Anführer der Bauern und den Rittern, in der diese die Kapitulation der Aufständischen fordern. Als der Bauernführer die Bedingungen ablehnte, wurde er von den adligen Herrn auf der Insel erschlagen (und später dort auch begraben). Daraufhin, so Rauerts Geschichte, seien die verbliebenen Bauern aus freien Stücken stolz ins Moor und damit in ihren Tod geritten. Sie hätten einen Schwur geleistet, ihrem Anführer auch im nächsten Leben Treue zu halten und die Herrschaft der Barone brechen zu wollen, und hätten sich dann „dem Moor anvertraut“.
Eine schöne Geschichte, und sicherlich eine Lektion für die hohen Herren dieser Zeit, gleichzeitig entsteht bei uns aber auch ein düsterer Verdacht über die Pläne des schwarzen Magiers, der hier – wahrscheinlich – die Gebeine des Bauernführers gestohlen hat.
Da auch die gelehrten Mitglieder unserer Reisegruppe nicht klären können, ob und wann es eine günstige Sternenkonstellation für das Wirken solch schwarzer Magie gibt, beschließen wir, von Wiedbrück schnellstmöglich über unserer Erkenntnisse zu berichten. Wir verabschieden uns von Rauert und danken ihm für seine Hilfe, danach verlassen wir die Insel und erreichen unter Miryas Führung am nächsten Tag den Ort Hügelsteen. Da die Zeit drängt, können wir dem Dorfschulzen nicht dabei helfen, seine Abgaben nach Bergenhus zu transportieren, bringen jedoch eine Nachricht über die aktuellen Ereignisse in der Umgebung zum dort ansässigen Baron.
Die Rückreise nach Grünwalden verläuft ereignislos, eine Tatsache, die uns nach dem anstrengenden Marsch durch den Sumpf alle etwas aufheitert. Im Ort angekommen, stellen wir jedoch fest, dass die Stimmung im Dorf merklich kühler und angespannter geworden ist; die Menschen behandeln uns mit Vorsicht und werfen sich sorgenvolle Blicke zu – ohne Zweifel ist dies von Wiedbrücks Werk.
Eberhard, der Wirt des ‚Tanzenden Ebers’, informiert uns, dass von Wiedbrück auf seinem Zimmer ist, wo Wolfhart ihn sogleich aufsucht. Währenddessen schnappe ich in einem Gespräch zwischen Eberhard mit einem Kunden auf, dass am heutigen Tage ein Fremder im Ort war und mehrere Bürger nach von Wiedbrück und seinen Begleitern ausgefragt hat. Darauf angesprochen, bestätigt der Mann, dass der Fremde – der Beschreibung nach ein Söldner – gestern und heute im Ort nach uns gefragt und sich dabei sehr neugierig gezeigt hat. Den Gasthof – die einzige Unterkunft im Ort – hat er jedoch nicht aufgesucht, so dass es nahe liegt, dass er außerhalb des Ortes im Wald übernachtet hat. Zudem macht ihn dieses Verhalten überaus verdächtig, daher beschließen wir, dass Mirya sogleich nach Spuren suchen soll.
In der Zwischenzeit berichten Cordovan und Wolfhart von Wiedbrück von unserer Begegnung mit dem Köhler. Wie immer fragt der Oberst des KGIA äußerst spitzfindig nach. Seinerseits erzählt er nicht ohne eine gewisse Genugtuung, dass es ihm gleungen ist, zahllose Verfehlungen der Bürger Grünwaldens aufzudecken, um die er sich später kümmern wird. Zudem glaubt er eine Spur zu haben, die ihn vermuten lässt, dass der Schrecken der Tobimora einen Unterschlupf abseits der Dörfer im Norden hat. Weiterhin übergibt er Wolfhart einen Brief seines Akademieleiters, der in unserer Abwesenheit eingetroffen ist. Als Wolfhart den Brief öffnet, vertieft er sich sogleich darin und gerät in helle Aufregung, denn dort ist die Rede von einem für nekromantische Experimente günstigen Zeitpunkt – ein weiteres Puzzlestück für unser Rätsel.
Da Mirya eine Spur ausgemacht hat, verfolgen wir gemeinsam die Fährte des fremden Söldners und finden schon nach kurzer Zeit die Leiche eines Tagelöhners aus Grünwalden, der durch einen Armbrustbolzen ermordet wurde. Von Wiedbrück vermutet, dass es sich bei dem Mann um einen Spion des „Schrecken“ handelte, denn ihm war aufgefallen, dass alle anderen Tagelöhner das Dorf längst verlassen hatten. Da die Fährte frisch ist, beschließen wir, dem Handlanger des Nekromanten zu folgen, damit dieser uns vielleicht zu dem Versteck führt.
Emmeran Tannhaus