Von Glauben und Freundschaft

Baliho, 23ter Ingerimm 1015 BF

Selbst das ausgedehnte Frühstück an diesem Morgen schmeckt staubig. Irgendwie hat man das Gefühl das in dieser von Rinderherden dominierten Stadt, einen der Staub niemals ganz verlässt. Ich bin immer noch ein wenig verärgert, dass dieser Boswitz, so wenig einsichtig war und uns wie einfache Bittsteller behandelt hatte. Es scheint mir, je weiter man an die Grenze des Reiches kommt desto weiter entfernt man sich von der zwölfgöttlichen Ordnung. Auch das gestern Abend im Nordstern der Zusammenbruch von Hochwürden Linai sowenig Aufsehen erregt hat, zeugt von einem Desinteresse an seinem Nächsten und an den Göttern, wie ich es selten erlebt habe. Da wir alle die Vision und die darauf folgende, kurzzeitige Ohnmacht mit Bestürzung aufgefasst haben, beschließen wir uns an diesem Morgen im Traviatempel nach ihrer Hochwürden zu erkundigen.

Da niemand von uns genau weiß, wo der Tempel liegt, lassen wir uns von Sieglund, dem Inhaber des Kaiserstolz und Orkentod den Weg weisen. Der Traviatempel in Baliho ist eher unscheinbar und man würde ihn vielleicht verpassen, wenn man nicht, so wie bei uns geschehen, darauf aufmerksam gemacht wurde, dass es das Gebäude neben dem Armenhaus ist. Dieses fällt durch seinen steten Strom ein und ausgehenden Leute auf. Als wir ankommen, ist gerade die Armenspeisung zur Morgenstund im vollen Gange. Bruder Sarkus ist dabei den Hungrigen einen einfachen Eintopf auszuschenken. Es ist keine Delikatesse aber es wird satt machen.

Während Sarkus unserer Bitte nachkommt und Hochwürden Linai informiert, dass wir sie sprechen möchten, macht Emmeran mit der Arbeit des Ausschanks weiter. Es scheint ihn zu freuen, dass er, so dicht an den Bedürftigen, ein gutes Werk verrichten kann.

Einige Minuten später treffen wir auf die Tempelvorsteherin Linai, die, noch sichtlich verwirrt und unentschlossen, dabei ist, Reisevorbereitungen zu treffen. Schwester Alwine ist nirgends zu sehen und auf mein Nachfragen hin erklärt mir ihre Hochwürden, dass die Schwester losgegangen sei, um einen Streitkolben zu kaufen. Mir scheint, dass die Lage ernst ist, wenn die Hüterin des Herdfeuers selbst zur Waffe greifen muss.

Im anschließenden Gespräch erzählt uns Hochwürden Linai erneut und in nun klareren Einzelheiten von der Vision.

Schwester Laniare, eine Dienerin der jungen Göttin und Freundin von Hochwürden Linai, lebte in dem kleinen Ort Dragenfeld, welches am Sieben-Baronien-Weg zwischen roter und schwarzer Sichel liegt. Als die Vision begann, war ein wütender Mob gerade dabei die gefesselte Laniare auf einen Scheiterhaufen in der Mitte des Dorfes zu zerren. Etwas abseits des Scheiterhaufens waren einige Leichen aufgebahrt und eine Frau hielt weinend ihr totes Kind in den Armen. Hass und Furcht war in den Augen der Dorfbewohner zu erkennen und Schwester Laniare wusste, dass sie einen Fehler begangen hatte. Eigentlich war sie froh, dass sie nun dieses Opfer bringen musste. Sie wusste, sie hatte einen Frevel begangen, der nur durch dieses Opfer wieder ungeschehen gemacht werden konnte. Kurz bevor Laniare starb und die Vision endete, wusste sie, dass Tsa sie wieder in ihre Arme geschlossen hatte.

Ihre Hochwürden plant nun, nach Dragenfeld zu reisen und die Vorfälle dort zu untersuchen. Sie ist sich sicher, dass der Frevel etwas mit dem Frühlingsopfer, einem Feiertag der Tsa, zu tun haben muss. Da ich eine Dienerin der gütigen Mutter auf eine so gefährliche Reise nicht alleine schicken kann, biete ich an sie zu begleiten. Nach einigem Zögern bietet auch Wolfhart seine Hilfe an. Wir verabreden uns, am heutigen Abend Bescheid zu geben, ob wir morgen oder erst übermorgen abreisen werden. Ihre Hochwürden ist damit einverstanden, gibt uns aber zu verstehen, dass sie nicht später als übermorgen abreisen und zur Not dann eben alleine reisen wird.

Seltsamerweise halten sich Emmeran und Rashid zurück. Ob sich unsere Wege hier trennen werden?

Als wir schon im gehen sind, fragt Rashid noch schnell, ob Hochwürden Linai das Haus kennt, zu welchem er gestern, den Schläger von Boswitz verfolgt hat. Sie kennt das Haus und kann ihm erzählen, dass dort Adram Ruhmrat von Lechmin und seine Frau Lanzelind ehemals von Hirschenau wohnen. Ruhmrat hat wohl in die vermögende Familie Hirschenau eingeheiratet. Mehr weiß sie allerdings auch nicht über die beiden. Beim Herausgehen lässt Wolfhart noch einige Münzen in den Klingelbeutel fallen. Das erste mal seit langem wieder.

Wir verabschieden uns und machen uns auf zum Hotel Pandlaril um von Nadur zu treffen. Bei dem Gespräch in einem kleinen Separee des Hotels erklären wir, dass wir Sapallyo gefunden und um die Mittagsstunde ein Treffen mit ihm ausgemacht haben. Es ist verabredet, dass ich ihn in seiner Unterkunft besuche. Von Nadur möchte, dass wir dort alleine hingehen und Sapallyo eine Einladung nach Anderath im Namen eines gemeinsamen Bekannten aus Ragath aussprechen. Ich werfe ein, dass sich Sapallyo wohl nicht aufgrund einer Einladung nach Anderath begeben wird und weise nochmal darauf hin, dass ich keinerlei Maßnahmen treffen werde, um dieser Einladung Nachdruck zu verleihen. Von Nadur scheint darüber nicht sehr erfreut, ich spüre, dass er sich in einer Zwickmühle befindet. Auf der einen Seite will er Sapallyo um jeden Preis nach Anderath bringen und auf der anderen Seite will er dabei aber nicht selbst in Erscheinung treten. Weiterhin wäre es ihm wohl auch recht, wenn wir Mittel abseits der Legalität einsetzen würden, er kann uns aber aufgrund seiner Position dieses nicht offen mitteilen. Ich bin froh, dass meine Begleiter in Rechtsfragen meiner Meinung sind. Weniger Gesetzestreue hätten sich sicherlich eine Geschichte ausgedacht, die mich von dem Geschehen weglockt, um die Sache im Sinne von Nadurs auszuführen. Da von Nadur bei uns nicht recht weiterkommt, entscheidet er sich mich zu begleiten und die Konfrontation mit Sapallyo zu suchen. Er bittet mich, noch einige Minuten im Separee auf ihn zu warten, während er noch einige Dinge aus seinem Zimmer holt.

Während wir warten spricht Wolfhart ein Thema an, dass scheinbar allen außer mir auf den Nägeln brennt. Er fragt sich, warum ich Entscheidungen immer alleine treffen würde. Er spielt damit auf mein Angebot an, Hochwürden Linai zu begleiten. Er wirft mir vor, dass ich die Entscheidungen der Gruppe treffen würde ohne vorher zu fragen, was denn die anderen darüber denken. Ich erkläre ihm, dass es doch die freie Entscheidung eines jeden wäre, mitzukommen und ich ja nicht gesagt hätte, dass wir sie begleiten, sondern nur von mir gesprochen habe. Die anderen beiden sind ebenfalls auf Wolfharts Seite und Rashid wirft ein, dass er Bezahlung für solche Aufträge braucht und wenn ich schon zugesagt hätte, eine Verhandlung auf schlechtem Fuß stehe. Ich muss sagen, dass ich dachte, unsere gemeinsamen Reisen hätten mich in dieser Hinsicht vorhersehbar gemacht. Was glauben meine Freunde denn, dass ich erst noch auf Preisschacherei und persönliche Befindlichkeiten achte, wenn es um solche Dinge geht. Manchmal glaube ich, dass sie gar nichts verstanden haben. Eine hochrangige Dienerin der Traviakirche braucht dringend Hilfe, um eine Reise ins Ungewisse zu überstehen. Da sollte ich vielmehr die Frage stellen, warum überhaupt diskutiert wird, ob ein Hilfsangebot richtig war. So langsam sollten sich die drei mal bewusst werden, mit wem sie reisen und ob sie diese Begleitung wünschen. Von Wiedbrück fragte mich gestern, warum ich mich mit so widrigen Leuten umgebe. Gesuchte Verbrecher, Lügner und Verachter der Gottes- und Reichsordnung. Ich habe ihm entgegnet, dass er ein falsches Bild habe und ich der festen Überzeugung bin, dass diese Leute ein gutes Herz haben und nur ab und zu jemanden brauchen, der sie in die richtige Richtung weist. Dies muss wieder einer dieser Momente sein. Ich sollte nicht zweifeln und stattdessen mein Bestes geben, um ihnen ein Wegweiser zu sein. Nur um Borons Willen, lass sie nicht mehr all zu häufig vom Weg abkommen.

Ich mache mich in von Nadurs Begleitung auf den Weg zu Sapallyo. Von Nadur und Sapallyo führen ein längeres Gespräch in nur scheinbar entspannter Atmosphäre. Hinter den Höflichkeiten wird ein verbittertes Gefecht ausgeführt. Sapallyo nimmt den Rückschlag seiner Entdeckung zuvorkommend hin und teilt mit von Nadur einige Erkenntnisse seiner Arbeit in Weiden: unzufriedene Vassalen, einen orkischen Kopfgeldjäger um Trallop, seine vergeblichen Bemühungen ein Schriftstück aus den Archiven Rhodensteins zu bekommen oder die Abfuhr Kolenbranders gemeinsame Geschäfte in Gareth zu machen. Zum Glück ist Baliho ein freundlicheres Pflaster und ein Partner für den aventurienweiten Handel mit Duftwasser schon in Sicht. Der “Einladung” nach Anderath kommt Sapallyo nach kurzem Überlegen in seiner anscheinend unbekümmerten Freundlichkeit nach.

Nach diesem Gespräch folge ich dem Rat der Tempelvorsteherin und erkundige mich über den Weg nach Dragenfeld. Im „Schwarzen Stier“ treffe ich den Fuhrmann Lares Ehrwald, der aus Dragenfeld stammt. Er kennt den Weg sehr gut und erzählt mir ein wenig von der Reise und Dragenfeld. Der Weg zwischen den Sicheln ist wohl nicht ungefährlich und man sollte sich vor Goblins und dergleichen in Acht nehmen. In Dragenfeld gibt es eigentlich nicht viel zu sehen. Einzig erwähnenswert ist die dortige Burg in die ein Gelehrter eingezogen ist und vielleicht die diesjährig besonders üppige Kartoffelernte.

Am Abend folgen wir der Einladung von Nadurs und essen fürstlich im Hotel Pandlaril. Von Nadur erzählt uns, dass Sapallyo nach Anderath reisen wird und unser Auftrag damit erledigt sei. Wir teilen ihm mit, dass wir in diesem Fall, gleich nächsten Morgen Richtung Norden aufbrechen werden. Da unser Weg durch Anderath führt, bittet er uns, eine Nachricht für da Vanya mitzunehmen. Von Nadur zieht sich nach dem Essen auf sein Zimmer zurück und da unser Geldbeutel für das Pandlaril nicht ausreicht, gehen Emmeran und ich ins Kaiserstolz zurück und Wolfhart erneut in den Nordstern. Rashid hingegen macht sich auf, dem Geheimnis der Verbindung von Boswitz und Lechmin auf den Grund zu gehen. Er bricht in das Haus der Lechmins ein und entdeckt dort, dass dieser hoch verschuldet ist und das Boswitz wohl der Hauptschuldner ist. Aus diversen Unterlagen entnimmt Rashid, dass Boswitz wohl einige Schuldscheine an Sapallyo verkauft hat und damit ein großes Handelshaus an einen Spion des Horasreiches gebunden hat. Da Rashid sich nicht in die Politik des Mittelreichs einmischen will und ihn ja auch außerdem niemand dafür bezahlt, behält er seine Erkenntnisse für sich.

Bei einem Bier im Kaiserstolz erklärt mir Emmeran noch einmal seine ganz persönliche Sicht unserer Diskussion im Separee des Pandlaril. Ich müsse verstehen, dass er schon häufig Zeuge gewesen ist, wie Freunde auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden und er hilflos dabei gestanden habe. Deshalb habe dieser Fall eine besondere Bedeutung für ihn und er hätte sich mehr Fingerspitzengefühl von mir gewünscht. Ich erkläre ihm, dass ich in jedem Fall gegangen wäre und das ich dachte, dass unsere Freundschaft stark genug sei, um ihm nicht vorspielen zu müssen, dass seine besondere Situation für mich einen Unterschied gemacht hätte.

Baliho, 24ter Ingerimm 1015 BF

Im Morgengrauen treffen wir Hochwürden Linai, welche wir am gestrigen Abend noch darüber informiert hatten, dass wir an diesem Tag abreisen können. Sie ist jetzt nicht mehr so verwirrt wie gestern und macht einen erholten Eindruck. Zwei zusätzliche Pferde stehen für Emmeran und Rashid bereit und obwohl wir jetzt nicht mehr zu Fuß gehen müssen kommen wir ob deren eher schlechten Reitkenntnisse dennoch nicht wirklich schneller voran.

Wir nehmen die Reichsstraße nach Norden immer entlang des Pandlaril. Als wir am Abend Anderath erreichen, werden wir auf der Straße von einer Praiosgeweihten in Begleitung von vier Bannstrahlern aufgehalten. Wir werden nach unserer Reiseroute ausgefragt und nachdem wir erklären, einen Nachricht für da Vanya zu haben, werden wir zu einem kleinen Wehrgehöft außerhalb der Stadt geführt. Ein Wehrgehöft hätte man es vorher vielleicht nennen können, nun sieht es eher aus wie ein Heerlager der Praioskirche. Das Sonnenbanner ist überall zu sehen. Was ein Anblick!

Man führt uns in eines der Hofgebäude und in einem größeren Raum treffen wir auf da Vanya in Begleitung einiger hochrangiger aventurischer Persönlichkeiten. Unter anderem sind dort, ihre Vizespektabilität Magistra Selara Moriani aus Perricum, seine Spektabilität Magister Thiron von Uckelsburg aus Gareth und der Hochgeweihte Brun Baucken aus Baliho.