Nach dem Kampf ist vor der Schlacht
Nach dem kurzen aber heftigen Kampf ist der schlachterprobte Cordovan derjenige von uns, der am meisten den Überblick behält. Er befragt einen der Verletzten und findet schnell heraus, dass nicht weit entfernt im Wald mindestens ein weiteres Dutzend Söldner des Räuberbarons lagern. Er wirft Wolfhart vor, den Kampf voreilig eröffnet und uns dadurch in Gefahr gebracht zu haben. Dieser ist jedoch überzeugt, das Richtige getan zu haben, und er will sogar die Gefangenen mitnehmen, was wir ihm jedoch ausreden können.
Unterdessen macht sich Rashid daran, einen der gefallenen Söldner zu versorgen. (Er hinterlässt ihm eine versöhnliche Nachricht für den geflohenen Räuberbaron, und bezahlt für diesen Dienst sogar noch sechs Silbertaler.) Wolfhart nimmt sich den Verletzungen des anderen an. Dass sie damit unsere kostbare Zeit verschwenden, ist ihnen gleichgültig.
Zum Glück nehmen wir auf unserer weiteren Reise keine Verfolger wahr und erreichen am Nachmittag den Ort Bracken, ein Dorf mit vielleicht 100 Seelen, die von Ackerbau und Viehzucht leben. In einem erst kürzlich eingerichteten Steinbruch behauen Strafgefangene Pflastersteine, die für den Ausbau der Reichsstraße gebraucht werden. Die zur Bewachung eingeteilten herzöglichen Hellebardiere können uns von der Reisegruppe von Wiedbrücks berichten, die vor einigen Tagen hier hindurchgekommen ist.
Wir beeilen uns, um gräflich Salthel noch zu erreichen, eine Stadt mit mehreren hundert Einwohnern unter der Herrschaft des Markverwesers Ralmir von Zornbrecht-Hauberachs. Der Verwalter der Stadt, Vogt Odilbert von Brockingen, residiert üblicherweise auf der etwas südlich gelegenen Burg Aarkopf. Da er zur Zeit jedoch nicht anzutreffen ist, werden wir dort abgewiesen und müssen im Gasthaus “Silberdrachen” unterkommen, wo wir auch den Proviant für die weitere Reise aufstocken. Durch Erkundigungen erfahren wir, dass von Wiedbrück auch hier durchgekommen ist; er ist in Richtung Runhag weiter gereist, wo wir mit dem Ende der ausgebauten Straße auch auf das „Ende der Zivilisation“ treffen werden. Rashid verkauft die am Morgen erbeutete Armbrust und stellt den Gewinn für die gemeinsame Reisekasse zur Verfügung. Vielleicht hat unsere Diskussion nach dem Vorfall an der Mühle ihn ja doch zum Umdenken bewegt. Ich frage mich erneut, ob die vielen Streitigkeiten der letzten Tage dazu führen, dass der Zusammenhalt unserer Reisegruppe schwächer wird, je näher wir unserem unbekannten Ziel kommen. Die anderen versprechen zumindest, ihr eigenes Verhalten in den kommenden Tagen beobachten zu wollen.
Am nächsten Morgen – es ist der 28. Ingerimm – beweist Mutter Linai erneut ihren Weitblick und ihren Wert als Begleiterin auf unserer Reise. Sie hat die Register des Bautrupps und des Tempels überprüft und ist dort auf einen Bericht über einen hünenhaften schwarz gekleideten Mann gestoßen, der die Arbeiter von einem Pferd aus beobachtet hat. Weiterhin gibt es einen Eintrag über die einem gewissen Hamid ben Seyshaban aus Khunchom erteilte Erlaubnis, den Turm Drachentod in Dragenfeld zu beziehen, nachdem dieser versichert hatte, nicht dem Rastullahglauben anzuhängen. Ein weiterer Beweis für die Engstirnigkeit der Anhänger der Zwölfe, wenn man ihn denn brauchte: Sie sind bereit, einem beliebigen Menschen zu vertrauen, sofern er nur angibt, keiner anderen Gottheit zu huldigen. Wer weiß welchen Schwarzmagier oder verrückten Quacksalber oder Agenten der südlichen Herrscher sie da wieder in ihrer Mitte aufgenommen haben. Ich jedenfalls werde mir das mal genau ansehen, wenn wir sowieso schon in Dragenfeld sind ….
Mutter Linai kann außerdem erneut von gefährlichen Träumen berichten, die die Bewohner Salthels heimsuchen: Eine Bettlerin hat sich im Schlaf das Herz herausgerissen. Auch dies ein Bild, was uns nur allzu vertraut ist. Kann es denn sein, dass die Träume uns noch immer verfolgen und immer dort auftauchen, wo wir sind? Wäre es dann unsere Schuld, dass diese Menschen leiden oder sogar sterben? Wie können wir diesen Fluch endgültig brechen? Fragen, die ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt besser nicht anspreche. Hoffentlich finden wir am Ende unseres Weges die Antworten.
Nach dem Frühstück setzen wir unsere Reise zwischen den Sichelgebirgen fort in Richtung Runhag. Nach kurzer Zeit entdecken wir am Wegesrand zwei in lange Mäntel gehüllte Gestalten, die sich über eine dritte beugen. Als wir uns vorsichtig nähern, rufen die beiden um Hilfe und behaupten, nach einem Überfall verletzt zurückgelassen worden zu sein. Da wir aber einen Hinterhalt vermuten und unter den Mänteln Metall aufblitzen sehen, bleiben wir zunächst stehen und fragen weiter, was sich hier ereignet haben soll. Daraufhin versuchen die beiden zu fliehen, und es wird deutlich, dass es sich um entflohene Sträflinge handelt, die gerade dabei waren, ihre Fußketten aufzubrechen. Als Rashid sie bedroht, erzählen sie ihre Geschichte. Demnach sind sie zu viert aus dem herzöglichen Bautrupp entkommen und in die Wälder geflohen. Als sie dort einen Trupp mit vielen Verletzten und reiterlosen Pferden entdeckten, wagten sie einen leichtsinnigen Überfall. Der Anführer des Trupps, ein schwarz gekleideter Mann, habe ihren Freund Raskar durch magische Flammen getötet, die vierte Strafgefangene sei durch die Fremden überwältigt und mitgenommen worden. Als sie daraufhin flohen, habe der Magier ihnen hinterhergerufen: „Korobar ist wieder da!“
Wir folgern, dass es einen Kampf zwischen von Wiedbrücks Leuten und dem Schrecken gegeben hat, bei dem zumindest einige der Begleiter von Wiedbrücks getötet oder gefangen genommen wurden. Korobar selbst hat sich danach mit seinen Verletzten und Gefangenen in sein Versteck zurückgezogen, als ihn die ahnungslosen Sträflinge überfielen. Was aus von Wiedbrück geworden ist und ob er noch lebt, bleibt unklar.
Wolfhart besteht darauf, die Gefangenen zu den Soldaten des Herzogs zurück zu bringen während Cordovan gewissenhaft den toten Raskar beerdigt, was diese widerstandslos mit sich geschehen lassen.
Als wir nachmittags den Ort Sichelweg erreichen, erfahren wir, dass von Wiedbrück hier vor einem Tag durchgekommen ist. Auch von schlechten Träumen in den letzten Nächten erfahren wir wieder, doch da wir heute noch Runhag erreichen wollen, halten wir uns hier nicht weiter auf. Runhag ist ein von einer Palisade umzäuntes Dorf auf einem Hügel entlang der Straße. Uns fällt gleich die gedrückte Stimmung und die schroffe Art der Menschen auf, die uns hier begegnen. Einzig die Wirtin des Gasthauses erweist sich als etwas gesprächiger. Hier erfahren wir, dass die Runhager von den Umtrieben des Schrecken geplagt werden und dass Mariella, ein Mädchen des Ortes, seit einigen Tagen spurlos verschwunden ist, man aber ihr Amulett auf einer Waldlichtung gefunden habe, was Anlass zu wilden Spekulationen gibt. Die Wirtin erwähnt auch, dass nördlich des Dorfes ein seltsamer Eremit zu finden sei, eine verklausulierte Bezeichnung für einen Druiden, wie uns scheint.
Da wir auch bei unserer letzten Begegnung mit dem Schrecken Hilfe des Druiden Giselhold hatten, der uns zum Versteck Korobars führen konnte, beschließen wir, den Runhager Druiden trotz der drohenden Dunkelheit noch aufzusuchen. Im Wald finden wir Steinzeichen, die uns schließlich zu einem unter dem Dach der Bäume verborgenen Steinkreis führen. Als wir diesen noch bestaunen bemerken wir, dass uns vom Rand der Lichtung drei in Roben gekleidete Männer beobachten. Zu unserer Freude sind sie bereit mit uns zu sprechen, und die Druiden bieten sogar an, dass wir die Nacht in ihrem Unterschlupf verbringen können, was uns Gelegenheit bietet, mit ihnen zu sprechen. Die Druiden fragen nach einem ihrer Brüder, der ausgezogen war, um eine Verletzung Sumus nahe der Braunenklamm zu heilen, und der seitdem vermisst wird. Leider können wir ihnen nicht weiterhelfen. Sie sind über die Gegenwart Korobars im Bilde, sehen ihn jedoch nicht als Ursache für eine Verletzung Sumus Leibes, die ihnen große Sorge bereitet. Wir erfahren von Adern in Sumus Leib, denen sie besondere Bedeutung beimessen, was wiederum Wolfharts professionelle Neugier weckt. Die Druiden sprechen davon, dass die Elemente in Unruhe sind und haben Ahnungen von einer finsteren Zukunft und einer Bedrohung, auf die sich die Druidenschaft seit langem vorbereitet. Als sie erwähnen, dass diese unbekannte Bedrohung seit dem Tsamond hier ist, berichte ich ausführlich von unseren Träumen und unserer Reise nach Dragenfeld. Der Anführer der Druiden bietet schließlich an, die Knochen nach unserer Zukunft zu befragen, wozu er eine Eidechse tötet und in ihren Eingeweiden und Knochen liest. Seine Prophezeiung, wir würden sehr bald in hohem Alter sterben, trägt nicht gerade dazu bei, Cordovans Skepsis zu mindern, der sich dem Ritual zu entziehen versucht.
Wir rätseln noch lange über die Bedeutung und Gültigkeit der Prophezeiung, werden aus den Worten des Alten jedoch nicht richtig schlau. Für mich steht fest, dass wir diese Warnung ernst nehmen müssen, wenn ich auch hoffe, dass sich die Weissagung nicht erfüllt. Vielleicht finden wir auch die Antwort auf diese Frage in Dragenfeld. Fest steht aber auch, dass wir uns wohl noch einmal dem Schrecken stellen werden müssen. Nach dem Kampf ist vor der Schlacht …
Am nächsten Morgen machen wir uns voller Fragen und Zweifel auf den Weg zurück nach Runhag, wo Mutter Linai uns bereits mit erneuten Nachrichten von Albträumen erwartet. Nimmt das denn nie ein Ende?