Der Angriff auf den Nachtschattenturm (Teil II)
Es war der Abend des 20. Borons 1016 nach Bosparans Fall. Der Horizont über dem Moosgrunder Wald färbte sich im Licht des Sonnenuntergangs blutrot. Der bunt zusammen gewürfelte Trupp unter der Führung Ritter Cordovans lagerte in einem Waldstück am westlichen Rande der Nebelwasser, einer Kette verbundener Seen im Inneren der Wälder. Von unheimlichem Eigenleben erfüllt, umhüllte und bedeckte Nebel die Ufer der Seen, so dass es schwierig war, die Orientierung zu behalten. Wenige hundert Schritt vom Lagerplatz entfernt lag das düstere Hauptgewässer der Nebelwasser, ein See von vielleicht zwei Meilen Durchmesser. Nahe des westlichen Ufers, durch unsicheres Eis getrennt, erhob sich eine Insel von etwa fünfzig mal dreizig Schritt, die beherrscht war von einer Anhöhe, auf der ein im Grundriss quadratischer, dreistöckiger Turm aus grauen, groben Steinen in die Nebel ragte.
Aaron von Nadur beobachtete die Geschehnisse im behelfsmäßigen Lager aufmerksam. Ritter Cordovan, Baron Wolfhart, Emmeran und Rashid kannte der Agent da Vanyas von früheren Begegnungen. Ritter Cordovan führte diesen Einsatz, doch diese vier waren der Generalstab, der sich abseits der anderen auf einen Plan verständigte. Im Lager um ihn herum sah er nicht weniger verdiente Streiter des Reiches, Lichtbringerin Schwester Praiogard und ihre beiden Akolythen, dann dort die Schildknappin und Baroness Kaarina von Pandlaril-Löwenhaupt zu Ulmenau in Begleitung zweier Pagen der Göttin Rondra, dazu Ritter von Hirscheneck, ein Veteran der 2. Schlacht auf den Silkwiesen, Urjel Hardering, der Schildknappe Rondras auf Bußqueste, Hauptmann Emmerbinge und seine Soldaten aus Baliho, sowie eine Handvoll gut ausgebildeter Soldaten aus Moosgrund. Es dauerte nicht lange, dass sich in den Rängen des Trupps mit Schwester Praiogard, Baroness Kaarina und Ritter von Hirscheneck eine zweite Führungsriege bildete, die sogleich versuchten Aaron in ein taktischen Gespräch zu verwickeln. Aaron hielt sich mit eigenen Plänen vornehm zurück, sondern nutzte die Runde um seine Zuversicht in den Generalstab zu zeigen.
Sein Blick sucht die Firnelfe Liasanya, diese rätselhafte Frau, die er über den halben Kontinent verfolgt hatte. Sie war, wie alle Elfen in Weiden, eine Außenseiterin in dieser Gesellschaft, umso mehr da sie äußerlich ein Wesen der ewigen Schnee- und Eiswüsten des Nordens war. Ihre Unbekümmertheit gegenüber dem frostigen Weidener Winter und der beinahe unerschöpfliche Aberglaube der Weidener gegenüber allem Elfischen taten ihr Übriges, um die einfachen Soldaten sie skeptisch beäugen zu lassen. Aaron beobachtete Liasanya eine Weile, er merkte gar wie er sich von den taktischen Details ablenken ließ. Liasanya ging im Lager herum und wandte sich nacheinander an ihre Mitreisenden. Ohne sich dabei aufzudrängen, passte sie es ab, wenn jemand alleine oder zu zweit stand, wechselte einige Worte der Zuversicht und des Mutes. Aaron erinnerte sich nur zu gut an das eigenartige Staunen, das den Überlebenden der zweiten Schlacht auf den Silkwiesen ins Gesicht geschrieben stand, wenn sie von ihrer Begegnung mit der weißen Elfe berichteten.
Kurz nachdem Emmeran von einer Erkundung des Ufers zurück gekehrt war, rief der Generalstab um Ritter Cordovan die übrigen, Schwester Praiogard, Baroness Kaarina, Ritter von Hirscheneck und Aaron, zur Beratung zusammen. Cordovan erläuterte den Schlachtplan und teilte die Kampfgruppen ein. Keine halbe Stunde später begann der Angriff auf den Nachtschattenturm im Schutz der einsetzenden Dämmerung.
Die Soldaten ließen in geduckter Haltung das Ruderboot zu Wasser. Mit einem trockenen Knirschen rieb der Bug über die gefrorene Böschung und das Eis am Ufer. Ruckartig klatschte es schließlich in das bitterkalte Wasser des Nebelwassers. Aaron zog unwillkürlich die Schultern zusammen und warte auf den Alarmruf vom anderen Ufer. Die Soldaten stießen zuerst zögerlich, dann zunehmend kraftvoll und gleichmäßiger die Ruderhölzer in das eisige Wasser, so dass sich das Boot zügig in Richtung Insel schob. Trotz der ständigen Geräusche, die das gute Dutzend Gerüsteter, das Boot und das Eis machten und von dem jedes einzelne viel zu laut in Aarons Ohren klang, gelang es der Truppe auf der Insel zu landen.
Aaron von Nadur huschte so schnell es ging den vereisten Pier entlang, dicht gefolgt von Rashid und zweien der Soldaten. Ihre Aufgabe war es den Landeplatz zu sichern. Aaron war nicht wohl dabei, sich auf unbekanntem Terrain auf einen Kampf mit Wesen des Namenlosen einzulassen, aber er konnte es nicht den Praios- und Rondradiener überlassen, den ersten Schlag auszuführen. Bei Rashid war er sich sicher, sich in einem Kampf voller Unsicherheiten zurecht zu finden, sonst hätte er kaum Marwan al’Nazzars Schule absolviert. Aaron verharrte am Rande des Piers und blickte auf das abgedunkelte Gebäude nur wenige Schritt entfernt. Bisher war Phex ihrem Unternehmen gnädig gewesen und Aaron betete, dass er dem Fürsten des Lichts und der Herrin des Donners noch einige Augenblicke den Blick verstellen konnte. Vom Turm stapfte eine schwer gerüstete Gestalt, die einen Zweihänder von zwei Schritt Länge über der Schulter trug, und zwei leichter gerüstete Männer durch den Schnee auf das Haus am Ufer zu. Als sie im Haus verschwanden, konnte Aaron die zerfetzten Abzeichen eines Rondraordens auf den Rüstungen und Wappenröcken der drei erkennen. Erst später sollte er erfahren, dass der schwarze Ritter, Alfarna von Baernsteyn, zu Lebzeiten eine Streiterin des Donnerordens war und mit ihrem Andergaster und der Macht des Namenlosen einen fürchterlichen Tribut forderte.
Ein Geräusch von der Rückseite alarmierte die Männer am Pier. Aaron und Rashid ließen die beiden Soldaten zur Sicherung des Piers zurück und pirschten an der langen Rückseite des Hauses entlang, die parallel zum Nordufer der Insel verlief. Kaum traten sie aus den Schatten heraus, zurrte eine Bogensehne und Pfeil schlug wuchtvoll in Aarons Hüfte ein. Nur einen Augenblick später traf ein weiterer Pfeil die Stelle an der Rashid gestanden hatte, bevor er geistesgewärtig eine Rolle in die Deckung des Hauses machte. Aaron fühlte, dass die Verletzung nur oberflächlich war, da die Pfeilspitze vom dicken Leder seiner Rüstung aufgehalten den Pfeilkopf nicht in seinen Muskeln versenken konnte. Er spürte allerdings auch, dass eine seltsame Taubheit die Seite befiel und er ein wenig schwindelig wurde. Zornig fiel er zurück in Deckung und riss dabei den Pfeil aus der Wunde. Die dadurch leicht stärkere Blutung würde er überleben und, so die Zwölfe es wollten, würde es das Gift herauswaschen. Schwindelig erdrückte ihn das Rauschen in seinem Kopf und die plötzliche Unbeholfenheit seiner Gliedmaßen. Halb unfreiwillig, halb das Resultat vorausahnend, ließ Aaron sich an der Hauswand zu Boden sacken und betete, nicht völlig das Bewusstsein zu verlieren, da es sein sicheres Ende sein musste. Wie durch einen Schleier nahm Aaron war, dass Rashid den Kampf mit dem bis dahin wie unsichtbaren Angreifer aufnehmen wollte. Behände überwand Rashid das offene Schussfeld und stellte die namenlose Jägerin zum Kampf. Die beiden dunklen Gestalten verschmolzen dabei aus Aarons Sicht zu einem kaum zu durchschauenden Tanz von Leibern und Klingen. Das Stakkato der Zwillingsklingen auf beiden Seiten hallte grausam schnell durch die Nacht. Hinter sich hörte er, dass das zweite Boot angelandet und der Sturm auf das Haus im vollen Gange war. Zu den Anrufungen an die Zwölfe, Praios und Rondra allen voran, und dem vampirischen Fauchen gesellte sich als bald das Schreien von Schmerz, Wut und Angst.
Baroness Kaarina führte die zweite Welle an, deren Auftrag es war, die Vampire im Haus zu stellen und zu vernichten. Die junge Rondrageweihte strahlte eine Entschlossenheit aus, die den anderen Mut machte und sie ihre eigene Angst vergessen ließen. Ihre athletische Gestalt und die stolzen Züge erinnerten an die Kriegerinnen aus den Kupferstichen des Rondrariums, denen in dunkler Stunde stets der Glaube an die Leuin Kraft schenkte. Kaarina selbst fühlte wie die Angst vor dem ungewissen Gegner sich wie ein Schleier über ihre Sinne legte und ihr Herz schneller in ihrer Brust schlagen ließ. Sie wußte, dass viel von ihrem Mut abhängen würde, so wie von dem des Hauptmanns Emmerbinge und so Rondra wollte vom Schildknappen Urjel. Die Pagen, Akolythen, Soldaten und Gardisten waren nicht weniger mutig und im Kampf gegen Orks und Räuber erprobt, doch sollte es zu einer Panik kommen, war es an Kaarina und den beiden die Reihe zu halten. Mit einem Gebet an die Herrin Rondra und den Heiligen Hlûthar zum Schutze gegen alles Dämonische zog die Geweihte ihr Namensschwert.
Der erste Ansturm war ein Erfolg. Die Überraschung war auf Seite der Weidener und so gelang es den Eingang zum Haus zu stürmen. Unter den gesegneten Waffen fand ein Vampir in Bauerskleidung sein Ende. Eine andere Frau in Waidmannskleidung wehrte sich erbittert gegen die Klingen der Angreifer, nur um durch Peraines Gaben ihren finalen Tod zu finden. Der Ansturm stockte als sich Alfarna von Baernsteyn und ihre beiden Mitstreiter den Angreifern entgegen warfen. Der Andergaster schlug mit übermenschlicher Kraft und Präzision auf Soldat Sadelhold ein und trennte Kopf und Schulter vom Körper. Ein Anflug von Panik erfasste die Reihe und sie ließen sich halb aus dem Haus herausdrängen.
Draußen erschien wie aus dem Nichts ein verhüllter Mann in schwarzer Robe mit verziertem Stab und verwandelte den Rückzug endgültig in Chaos. Begleitet von einigen Worten auf Bosparano erhob sich im Rücken der Weidener eine lodernde Wand aus Flammen und verstellte ihnen den Fluchtweg. In dieser Sekunde spürte Kaarina den Blick der Göttin in ihrem Herzen, prüfend, abwägend, ob sie sich dem Einzug in die Hallen würdig erweisen würde. Mit einem Stoßgebet an Mythrael, den Marschall der alveranischen Heerscharen, auf den Lippen, drängte sie vorwärts. Mit einem weiteren Gebet an die Herrin dankte sie es, dass die anderen sich ein Herz gefasst hatten und mit ihr voranstürmten.
Es war nicht mehr daran zu denken, eine saubere Formation zu halten, und so verteilte sich das verzweifelte Kampfgeschehen in den Räumen des Hauses. Kaarina sah wie sich eine Frau in rotem Wams, bei näherem Blick die Baroness Ullgrein von Menzheim, in den Kampf einmischte und ein Bär von einem Mann in Winterkleidung einen Hammer gegen die Angreifer schwang. Von einer Riposte Ullgreins überrascht, verlor Kaarina nur für einen kleinen Augenblick Alfarna aus den Augen und vermochte den Konter der Ordensritterin nicht aufzuhalten. Der Andergaster zerschmetterte die Rüstung der Rondrageweihten genauso leicht wie die darunterliegenden Knochen. Keuchend brach Kaarina in ihrem Blut zusammen.
Unter Schock und kaum mehr bei Sinnen nahm Kaarina noch wahr, dass jemand über ihr stand und mit trotzigen Schlägen Ullgrein und Alfarna zurückdrängte. Urjel dankte es der Göttin, dass sie ihm vergeben hatte, und sang mit voller Stimme die Hymne “Rondra führe meine Klinge”. Für jede Wunde, die ihm geschlagen wurde, fügte er eine zu, und mit jeder Wunde ergriff Rondras Zorn den Körper ihres Geweihten. Während noch Ullgrein in geweihtem Wein elendig verging mit lieblos in ihrem Haar hängenden Kräutern und Blumen, gegen die sie zum Leidwesen des Stadtgardisten Kerlings gefeit gewesen war, konzentrierte sich der Kampf immer mehr um das Duell zwischen Urjel und Alfarna.
“Rondra, bist in meinem Herzen, Dir nur ist mein Schwert geweiht.
Trage mit Dir alle Schmerzen, bin zum Kampfe stets bereit.
Rondra führe meine Klinge, sei’s in Licht wie in Dunkelheit.
Rondra führe meine Klinge, sei’s in Licht wie in Dunkelheit.
Leuengleiche, Ehrenreiche, donnernd Schutz und feste Wehr.
Deine Namen will ich führen, stets im Herz als höchste Ehr’.
Rondra führe meine Klinge, sei’s in Licht wie in Dunkelheit.
Rondra führe meine Klinge, sei’s in Licht wie in Dunkelheit.
Rondras Ehre, Rondras Treue, Rondras Zorn, Rondras Kraft.
Davor soll der Feind erbeben, zittern vor der Göttin Macht.
Rondra führe meine Klinge, sei’s in Licht wie in Dunkelheit.
Rondra führe meine Klinge, sei’s in Licht wie in Dunkelheit!”
Im Wettstreit der überderischen Mächte war es schließlich der Diener der Zwölfe und nicht das Geschöpf des Dreizehnten, der den Sieg davon trug. Alfarnas Vernichtung markierte den Wendepunkt im Kampf zwischen den Weidener Recken und den Vampiren. Sie mobilisierten ihre letzten Kräfte und vernichteten die verbliebenen Geschöpfe des Namenlosen.
Der Sieg hatte eine hohen Tribut gefordert. Unverletzt war niemand geblieben. Soldat Sadelhold Dürrnwiese war beim ersten Aufeinanderprallen gestorben, Akolyth Hlutar wenig später mit gebrochenen Gliedern gefallen, die Akolythin Odelinde schwer verletzt. Rovena Brauer war vor der Tür in Panik geraten und wurde erst später von Harpien zerrissen am Turm gefunden. Der junge Thalionas von Widderswalden rettete der Freifrau Geldane das Leben, bezahlte dafür aber mit einer Wunde, die ihn für Wochen an das Krankenbett fesseln sollte. Stadtgardist Kerling Theuermeel fiel der Klinge Ullgreins zum Opfer. Baroness Kaarina überlebte nur dank des Eingreifens Urjels und der schnellen ersten Hilfe von Hauptmann Emmerbinge und Rondraichs von Altweiler, während Urjel Hardering seiner Göttin für ihre Gnade und Beistand sein Leben zu Füßen legte und den Heldentod starb. Aaron von Nadur war durch das Gift außer Gefecht, berappelte sich aber in den nächsten Stunden. Rashid war dank seiner Geschicklichkeit, Kampfeskraft und vor allem Phexens Mondstaub im Duell gegen die namenlose Jägerin siegreich.
opa says:
Schöner, stimmungsvoller Bericht. Vielen Dank!
ct says:
In der Tat schön geschrieben. Schade um die vielen Recken. Hat Cordovan sich wohl wieder die falsche Ecke zum Kämpfen ausgesucht.