Der Angriff auf den Nachtschattenturm (Teil III)

Wider Tsas Willen

Am Nachtschattenturm, 20ter Boron 1016 BF

Ich stürme aus dem Turm direkt auf den Mann in der dunklen Kutte. Wie ich es meinen Mitstreitern, bevor wir zur Insel aufgebrochen sind, gepredigt hatte, ist jeder Fremde auf der Insel als Feind zu betrachten. Wie ich erwartet hatte, beginnt der Mann umgehend einen Zauber zu wirken. Doch anstatt dass mich der Zauber niederstreckt geschieht fast gar nichts. Dschelefs Amulett wird warm und auf dem Gesicht des Magiers ist ein Ausdruck des Erstaunens zu sehen. Der Magier scheint allerdings Erfahrung genug zu haben und wirkt sogleich einen weiteren Zauber. Ehe ich mich versehen kann stehe ich nicht einem Magier sondern vieren gegenüber. Obwohl mir klar ist, dass es sich dabei um Illusionen handelt vermag ich nicht den echten Magier zu identifizieren. Als ich zum ersten Schlag gegen eine der Gestalten aushole prasselt der nächste Zauber auf mich ein. Ein arkaner Fulmin, wie ich an der Spruchformel erkenne. Doch auch dieses Mal trifft mich nicht der scharfe Schmerz sondern erneut wird das Amulett warm. Mit diesem äußerst hilfreichen Amulett hätte ich diesem Magier sicherlich Einhalt gebieten können, doch der warnende Ruf meiner Freunde lässt mich nach oben blicken. Einige Harpyien lösen sich vom Dach des Turms und gleiten zu uns herab. Die Erfahrungen aus dem Wald bei Moosgrund noch in Erinnerung, beschließe ich den Kampf abzubrechen und befehle meinen Mitstreitern sich in den Turm zurück zu ziehen. Wir verbarrikadieren die Tür und ich stelle Ritter von Hirscheneck und Soldat Bärnhelm Kaltenhusen als Wache ab, während wir weiter den Turm erkunden.

In dem kleinen Nebenraum finden wir in einer Holzschale einige Federamulette, die Wolfhart in ein Tuch einschlägt und einsteckt. Für eine eingehendere Untersuchung bleibt keine Zeit. Der Raum, in dem der Erzvampir gefangen gehalten wurde, bietet außer den nun überall herumliegenden Devotionalien des Praios, keine weiteren Erkenntnisse.

Wir machen uns weiter auf den Weg nach oben. Auf der Hälfte der Treppe lassen uns Geräusche aus dem oberen Stockwerk innehalten und ich schicke Liasanya vor, um leise ein Auge in die oberen Räumlichkeiten zu werfen. Nach einem kurzen Blick ins obere Stockwerk kommt sie umgehend zurück und berichtet, dass Pardona oben bereits auf uns warten würde. Fast zeitgleich ertönt aus dem oberen Stockwerk ein markerschütterndes Knurren, gefolgt von schweren Schritten die sich von oben, dem Ende der Treppe nähern. Noch bevor wir beraten können, was der Auslöser dessen sein könnte, schiebt sich von oben eine Kreatur der Niederhöllen die Treppen hinab. Ochsengroß mit schweren Schwingen an dessen Ende vier messerscharfe Klauen nur darauf warten den Tod zu bringen. Das Fell des Monsters legt sich wie ein schwarzer Schatten um den grauenhaften Leib.

Wir ziehen uns umgehend in den Eingangsraum zurück. Das Biest folgt uns nicht und streift in dem Raum mit der Treppe auf und ab. Wolfhart, der nun Gelegenheit hat, sich die Kreatur genauer anzusehen, meint darin einen vier gehörnten Diener der Niederhöllen zu erkennen. Ein unvorbereiteter Kampf gegen solch ein Wesen kommt einem Selbstmord gleich und so beschließen wir, dass dies eine gute Gelegenheit ist, die Kräfte der Elemente anzurufen und den Djinn des Erzes um Hilfe in diesem Kampf zu bitten. Schwester Praiogard ist entschieden dagegen doch nachdem ich sie erinnere, dass wir bereits aus eigener Kraft ein mächtiges Scheusal vernichtet haben und wir für den bevorstehenden Kampf zu geschwächt und deutlich unterbewaffnet sind, willigt sie ein. Also ruft Emmeran die Formel die Dschelef ihm beigebracht hat und aus dem Boden vor uns erhebt sich eine Kreatur aus massivem Stein. Schwarze, ausdruckslose Augen blicken auf Emmeran herab und scheinen darauf zu warten, was dieser mitzuteilen hat. Der Hexer sammelt sich und befiehlt dem Djinn mit einer ihm ungewohnt befehlsgewaltigen Stimme, den Gehörnten zu vernichten. Einen Moment der Stille und Reglosigkeit später bricht der Djinn durch die Wand in den Nebenraum und schleudert dem Dämon die geballte Kraft des Erzes entgegen. Ein gewaltiger Kampf entbrennt in den Emmeran und ich mit einschreiten. Der Kampf wogt hin und her und letztlich mögen es Emmeran und ich gewesen sein, die den Ausschlag gaben, dass der Dämon unter den vereinten Schlägen zusammenbricht. Auch wenn ich Boron in diesem Kampf sehr nahe kam, so war meine Zeit leider noch nicht gekommen und ein wenig missmutig trinke ich den letzten uns verbliebenen Heiltrank.

Wir gehen die Treppenstufen hinauf und gelangen in das nächste Stockwerk, welches nur aus dem Treppenaufgangsraum und einem weiteren großen Raum besteht. In der Mitte des Raumes steht ein mannshoher grauer Kessel. Aus welch einem Material dieser geschaffen wurde, vermag ich nicht zu sagen. Die archaischen Runen auf der Außenseite lassen mich allerdings vermuten, dass es sich dabei um einen sehr alten Gegenstand handeln muss. Direkt neben dem Kessel steht eine Elfe mit schlohweißem Haar und goldenen Augen. Den Boden des Raumes bedeckt ein roter, wabernder Nebel, der nur ab und zu den Blick auf die darunter liegende Fläche freigibt. Irgendeine Art Relief zieht sich über den gesamten Fußboden und nur Wolfharts geschultes Auge kann aus den Bruchstücken die zu erkennen sind, das komplette Bild zusammensetzen. Unter dem Nebel befindet sich ein dreizehn gezacktes Zeichen. An jedem Zacken befindet sich ein Symbol, das einen der zwölf Erzdämonen repräsentiert. Das dreizehnte Zeichen ist das Symbol des Namenlosen. Durch die Zeichen und die Verbindungslinien fließt ein steter Strom von Blut. Bei der Elfe muss es sich um eine verderbte Wahnsinnige handeln. In einem Ritual, gleichzeitig alle zwölf Erzdämonen und den Namenlosen anzurufen kann nur eine seelenlose Irre wagen. Zeit dem Ganzen ein Ende zu bereiten! Mit festem Willen will ich in den Raum schreiten, doch die Elfe hat vorgesorgt. Den Eingang zu dem Raum blockiert eine schimmernde, durchsichtige aber äußerst massive, magische Barriere. Während wir suchen, ob die Barriere irgendwo nachgibt oder eine Lücke hat, fängt das Blut an, Richtung Kessel zu fließen. Der Nebel verdichtet sich und steigt über dem Kessel zur Decke, wo er kondensiert und in dicken Blutstropfen herabregnet.

Emmeran entdeckt, dass der Abschluss der Barriere an einer Stelle nicht ganz sauber ist und sich dort ein kleines Loch ergeben hat. Wolfhart nutzt die Gelegenheit, um der Elfe durch die Öffnung einen Fulmin entgegen zu schleudern. Doch auch auf dies ist die Elfe vorbereitet. Der Fulmin trifft auf eine weitere Barriere, die sich wie eine Kugel um die Elfe legt und verpufft wirkungslos.

Ein Pochen, das wie das Schlagen eines Herzens klingt, erfüllt den Raum und das Blut scheint darauf zu reagieren. Es fängt an mit jedem Schlag zu vibrieren. Auch Emmeran nutzt nun seine Magie und ruft ein halbes Dutzend Krähen herbei die in dem Raum erscheinen. Die Krähen sind wirkungsvoller als der Angriffszauber und schaffen es, Pardona abzulenken und ihre Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Allerdings wirft sie uns lediglich ein „Nichtsnutzige Würmer“ entgegen, bevor sie sich wieder dem Ritual zuwendet.

In der Mitte des Kessels verdichten sich die Tropfen zu Fäden, die sich ihrerseits zu einem Leib formen. Die Krähen, welche normalerweise ihr Ziel sicher finden und so lange attackieren bis sie oder das Ziel vernichtet sind, scheinen durch die starke Magie des Rituals so verwirrt, dass sie sich nicht auf Pardona stürzen sondern wie wild durch den Raum fliegen und mal Pardona, mal den entstehenden Leib attackieren. Immer wenn eine der Krähen mit dem sich formenden Blutleib in Berührung kommt, verendet sie umgehend, so dass es nicht lange dauert bis alle Krähen tot am Boden liegen.

Ich frage Schwester Praiogard, ob sie Praios bitten kann die Barriere zu brechen und sie fängt umgehend an zu beten. Unterdessen ist der Leib fast vollendet und es lässt sich die Perfektion dieses Körpers erahnen. Wenige Augenblicke später, Schwester Praiogard ist noch immer im Gebet vertieft, entsteigt der fertige Körper dem Kessel und Pardona sinkt mit den Worten „Borbarad“ auf die Knie.

„Vergiss es Pardona, du hattest einen Schlüssel, doch ich hätte das Tor auch ohne dich aufgestoßen“ sind die ersten Worte, welche die entstandene Kreatur, anders vermag ich dieses wider dem Willen Tsas erschaffene Wesen nicht zu nennen, von sich gibt. Dann reißt die Kreatur mit einer Handbewegung ein gleißendes Tor in die Rückwand des Turms und schreitet hindurch.

Unter dem Gebet an Praios bricht die Barriere und wir stürmen hindurch. Pardona flucht und beschimpft erst Borbarad und dann uns. „Das ist nur Eure Schuld, ohne Euch wäre er perfekt gewesen“ sind die letzten Worte von ihr, bevor sie sich in einen Gletscherwurm, einen riesigen Eisdrachen, verwandelt. Da der Drache in dem Raum, ob seiner Größe nicht kämpfen kann, gelingt es uns, diesen durch das Loch welches die Kreatur mit seinem Portal in die Rückwand gerissen hat, heraus zu treiben. Der Drachen stellt sich nicht zum Kampf, sondern verschwindet in der Nacht und lässt uns erschöpft und entmutigt im Ritualraum zurück. Wieder einmal kamen wir zu spät…

Aus dem Reisetagebuch des Boron-Geweihten Ritter
Cordovan Boronar von Reuenhold vom Orden des heiligen Golgari