Auf nach Greifenfurt

Anfang Rahja 1016

Endlich wieder daheim….wobei: bin ich hier überhaupt wahrhaft heimisch? Ja, Falkenberg ist meine Baronie. Sie hängt mir am Herzen. Ich versuche sie wieder aufzubauen und stecke doch einiges von meinem kostbaren Gold in den Aufbau der Tempel und Schreine und die Wiederherstellung der Stallungen. Aber die letzten Jahre habe ich mehr Zeit in Weiden verbracht, als dessen Ritter ich nun hierhin zurückgekehrt bin und dessen gerade im Winter etwas unwirtliche Landschaft mir doch gefällt. Auch mit Festum und Neersand, wo ich die letzten Wochen verbracht habe, verbindet mich einiges. Ich bin Magier, mittlerweile durch das Rubinauge gezeichnet – allein in Neersand werde ich als solcher anerkannt, ohne mir wiederholt teils bissige, teils spöttische, teils herabwertende Kommentare anhören zu müssen.

Aber heimisch in Neersand? Letztendlich sind es wohl nicht Orte, die für mich wichtig sind – selbst das Gut Welmshof, als dessen Junker ich einst nach Neersand aufbrach, ist mir innerlich immer ferner. Es sind die wenigen Menschen, mit denen ich die letzten Jahre fast durchgängig verbracht habe und auf deren Wiedersehen ich mich freue, die mir an den verschiedensten Orten so etwas wie ein Heimatgefühl vermitteln. Wir stehen für einander ein.

Doch da waren auch Verrat, Lügen, Missgunst, Vorteilsnahme – jene Laster, die eine Freundschaft oftmals tragen kann, die sie aber auch belasten können, bis sie bitterlich zerbrechen. Die schweren Aufgaben, die wir zu bewältigen hatten, haben wiederholt zu Zwist zwischen uns geführt. Ich hoffe, dass wir nun, da wir einige Zeit voneinander getrennt waren, in neuer Offenheit miteinander umgehen und uns klar ist, was wir aneinander haben. Ansonsten hat unser Gegner bereits gewonnen.

08. Rahja

Nun ist auch der letzte unserer kleinen Gruppe in Falkenberg angekommen. Es gibt ein großes, freudiges Hallo. Doch lange können wir das satte Essen, dass ich abends habe auftragen lassen, nicht ungestört genießen. Ein Bote bringt ein Schreiben da Vanyas, in dem dieser eine Bitte an uns richtet. Das Kloster Arras de Mott, welches während des Orkensturms geschliffen wurde, wird zurzeit unter der Aufsicht eines Nachfahren des Klostergründers im Finsterkamm wieder aufgebaut. Dabei kommt es wohl zu einigen Verzögerungen, auch von übernatürlichen Erscheinungen ist die Rede. Da Vanya bittet uns nun, diesen Gerüchten sowie den Gründen für die Verzögerungen – inoffiziell versteht sich – nachzugehen. In dem Brief ist eine Kontaktadresse in Greifenfurt angegeben, zu der wir uns hinwenden können.

Wir sind uns einig, dass wir der Sache nachgehen werden und geben dem wartenden Beilunker Reiter ein Schreiben mit, in dem wir da Vanya unsere Unterstützung in dieser Sache zusichern. Sofort geht es wieder an die Reiseplanung. Erst jetzt berichtet Rashid, dass ihm sein edles Weidener Ross in einem Gasthof nahe Kuslik entwendet wurde. Als Cordovan eine ungefähre Schätzung über den Wert des Pferdes vornimmt, verschlägt es Rashid beinahe die Sprache. Mein Weidener Pferd kann ich Rashid nicht zur Verfügung stellen, schließlich habe ich es allein zum Aufbau der Stallungen als Dankesgabe angenommen. So werden wir wohl wieder in altgewohnter Weise reisen.

26. Praios 1017

Wir reiten gen Greifenfurt und sollten die Stadt heute erreichen. Bis hierhin war unsere Reise weitgehend ereignislos. In dieser Nacht habe ich jedoch einen Traum, der mich sehr unruhig schlafen lässt und von dem ich den anderen am Morgen berichte. Ich sehe von oben auf einen Wald. Die Bäume des Waldes sind seltsam verwachsen. Mir kommt es so vor, als hätten sie sich vor Schmerzen verdreht. Einige tragen abgestorbene Blätter. Während ich auf den toten Wald blicke, tost um mich ein Sturm. Vereinzelt ist ein grollendes Donnern zu vernehmen. Die Erfahrung der letzten Jahre lässt mich nicht zweifeln, dass auch dieser Traum etwas mit den Gezeichneten und Borbarad zu tun hat.

Gen Mittag erreichen wir das sich im Aufbau befindende Greifenfurt. Unter der Ägide der Markgräfin Irmenella hat sich viel getan. In der Stadt, die noch nicht ganz ihre früheren viertausend Einwohner wieder erlangt hat, herrscht reger Betrieb. Auf Rashids Empfehlung hin steigen wir im „Durstigen Pferd“ ab. Da noch viel Zeit ist, machen wir uns auf, den Kontakt da Vanias aufzusuchen. Die angegebene Adresse ist unweit des Praiostempels.

Auf dem Weg dorthin ereignet sich etwas Merkwürdiges. Jemand pfeift uns hinterher, was aufgrund von Rashids Aussehen zwar nicht verwunderlich sein mag, jedoch im Beisein von Emmeran oder Cordovan bisher noch nicht vorgekommen ist. Es ist daher auch keine hübsche Maid oder Gruppe fescher Greifenfurter Fräuleins, sondern ein auf den ersten Blick debil wirkender Zwerg. Trotzdem sei den Zwölfen Dank, dass wir wegen seines Pfiffes stehen geblieben sind: Ein lautes Knallen ist in unserem Rücken zu vernehmen. Als wir uns umdrehen, sehen wir, dass ein paar Schritte weiter das Seil an einem Baukran reißt und eine Palette mit Steinen auf die Straße rauscht – genau dorthin, wo wir wahrscheinlich gestanden hätten, wenn der Zwerg uns nicht abgelenkt hätte. Ein Bauarbeiter macht auch gleich auf diesen Umstand aufmerksam, als er uns zuruft, dass wir uns bei Arthag dem Verrückten bedanken könnten. Als wir nachfragen, wird uns gesagt, dass Arthag seit der Belagerung nicht mehr ganz richtig im Kopf sei. Eine Frau namens Boronhild kümmere sich um ihn. Während wir anderen nach der Adresse von Boronhild fragen, hört Emmeran, wie Arthag „gefunden“ sagt. Auf Emmerans Frage, was Arthag den gefunden habe, bekommt jener keine Antwort. Als wir an der Tür zu Boronhilds Haus stehen und diese uns zum Abendessen einlädt, um uns Arthags Geschichte zu erzählen, flüstert Arthag Emmeran zu, er solle die Brüder heimführen – erneut ist Emmeran nicht klar, was damit gemeint sein könnte.

Wir gehen weiter zu unserem Kontaktmann, einem gewissen Meister Taranion, der dem Namen nach entweder ein Zwerg oder aber ein Albernier sein müsste. Als wir an dessen Tür eintreffen, macht uns ein Junge namens Edo auf, der uns nach kurzem Hin und Her seinem Meister meldet. Dieser ist Rechtsgelehrter, so um die 50 Jahre alt und trägt eine schmucklose Kutte, als er uns in seinem Studierzimmer empfängt. Er macht uns gleich darauf aufmerksam, dass wir einen guten Grund zum Besuch an der Klosterbaustelle brauchen. Um uns etwas Sinnvolles zu überlegen, gibt er uns noch einige Informationen an die Hand. Das Kloster Arras de Mott ist der Hauptsitz des Ordens der Heiligen Hüter. Dort wurden und werden gefährliches Wissen, Geheimnisse und Artefakte untersucht und unter Verschluss gehalten. Als es 1012 erstürmt wurde, floh der Hohe Lehrmeister Nicola de Mott mit zwei Glaubensbrüdern und brachte dabei die originale Niederschrift der Offenbarung der Sonne – Gespräche mit dem Götterboten in Sicherheit. Das Kloster wurde erst 1015 nach längerer Belagerung durch Alrik vom Blautann und vom Berg befreit. Heute leben neben dem zurückgekehrten Nicola de Mott zwischen dreißig und vierzig Brüder dort. Dazu kommen etliche Handwerker, darunter einige Zwerge. Aus der Markhauptstadt gibt es unregelmäßige Lieferungen von Handwerkszeug und weiteren Waren ins Kloster.

Von Unregelmäßigkeiten, gar Heimsuchungen durch Geister hat Meister Taranion auch gehört, führt diese Erzählungen aber auf Orküberfälle aus dem Finsterkamm zurück. An Sabotageakte, die wir ins Spiel bringen, mag er nicht glauben. Er erwähnt noch, dass die Heiligen Hüter zwar davon sprechen, dass sie das alte Kloster als ihren Hauptsitz aufbauen wollen, dass jedoch im Volke gemunkelt wird, dass dort ein großer Kerker errichtet würde. Auch diesem nachzugehen, müssen wir uns auf eine längere Reise aufmachen als von uns gedacht, da das Kloster dann doch eine gute Woche von Greifenfurt entfernt ist. Unter welchem Vorwand wir dort nun auftauchen, können wir uns demnach noch länger überlegen. Zuerst aber erwartet auf uns ein Mahl bei Boronhild und dem geheimnisvoll-wirren Arthag.