Die Menschen glauben eher den Augen als den Ohren.
HOMINES AMPLIUS OCULIS QUAM AURIBUS CREDUNT
Die Menschen glauben eher den Augen als den Ohren.
Kloster Arras de Mott, 11. Rondra 1016 BF
Während Emmeran und Wolfhart durch die Bibliothek streifen auf der Suche nach einem Verzeichniskatalog, werde ich davon überrascht, dass die Harpyien plötzlich aktiv werden und ihre angestammte Position auf dem Tempeldach verlassen um auf den Bergfried zu fliegen. Kaum auf dem Bergfried angekommen, beginnen die drei mit Schimpftiraden und Verunglimpfungen. Die drei sind aber nicht die einzigen, die ein reges Interesse für den Bergfried zeigen. Kurze Zeit nach den Harpyien kommt die große Katze herangeschlichen und läuft, an mir vorbei auf die Tür zu um daran zu kratzen. Offensichtlich will sie unbedingt in den Bergfried und mit ihrem, auf mich gerichteten, Blick will sie mir zu verstehen geben, dass ich ihr endlich die Tür aufmachen soll. Da hätte sie aber auch genauso gut den Stein neben mir anschauen können.
Eine der Harpyien steigt hinab und landet nicht unweit neben mir auf dem Dach der Werkstatt. Es ist die hässliche, zerrupfte Alte, welche in Moosgrund den Furchtzauber auf uns geworfen hat. Gleich nach der Landung fängt sie an, wie es anscheinend in der Natur der Harpyien liegt, zu erzählen. Sie bekommt gar nicht genug davon mir von unserem bevorstehenden Scheitern und unserem Untergang zu erzählen. Vielleicht hätte dieses zerrupfte Biest sich vorher mit der Katze austauschen können, dann hätte es gewusst, dass eine Konversation mit dem Stein neben mit unterhaltsamer gewesen wäre. Mich kümmerte das Gerede der Harpyie vor mir und der in die Unterhaltung einstimmenden Harpyien auf dem Dach wenig, einzig ein scheinbares Zitat sticht aus den Tiraden heraus. „Wenn der geblendete Blender die verblendete Blenderin trifft, wird ihr gieriger Blick fallen, auf die Gier der Menschen und auf IHN, und was ihr zuteil ward, das soll auch IHM zuteilwerden.“ Sowie „Wenn der Schlaf des Hüters gestört wird und sein Heim in dunkle Klauen fällt, wird ein alter Pakt erfüllt werden.“ Während des Geplappers fliegt eine weitere Harpyie hinab und setzt sich zu meiner anderen Seite auf den Boden. Das scheint unsere feline Verfolgerin dann doch ein wenig zu beunruhigen, denn sie bricht das Kratzen an der Tür ab und sucht das Weite. Augenblicklich hebt auch die gerade gelandete Harpyie ab und verfolgt die große Katze. Der Gedanke, dass in dieser bizzaren Welt jetzt Vögel, Katzen jagen, lässt mich innerlich schmunzeln.
Unterdessen suchen Wolfhart und Emmeran fieberhaft nach Hinweisen auf einen weiteren Raum, der das verbotene Wissen, welches diesem Orden seinen Namen gab, enthält. Unserer Vermutung nach, könnte es einen weiteren Kellerraum geben, der sich über eine verborgene Treppe in der dicken Mauer des Bergfrieds erreichen lässt. Doch alles klopfen, horchen und nach Ritzen suchen bleibt erfolglos. Enttäuscht wenden die beiden sich abschließend noch dem Arbeitsplatz von Hüter Quanion zu. Diesen scheint unser Gespräch am Mittagstisch doch neugierig gemacht zu haben. Auf seinem Schreibpult finden sich Notizen und Gedanken zu den Orakelsprüchen von Fasar.
Während Wolfhart noch in den Unterlagen stöbert, will sich Emmeran ein Buch aus dem angrenzenden Regal greifen und erwischt, zu seiner Überraschung einen als Buch getarnten Hebel, der das ganze Bücherregal wie eine Tür aufschwingen lässt. Hinter dem Regal findet sich, wie vermutet, eine Treppe nach unten.
Vorsichtig verkeilen die beiden die Tür damit diese nicht wieder zu fällt und machen sich an den Abstieg. Den Raum am Fuße der Treppe als Hort des verbotenen Wissens zu beschreiben wäre stark übertrieben. Die Orks müssen wohl auch diesen Ort gefunden und geschliffen haben, denn es sind nur noch wenige Stücke dort unten gelagert. Nach eingehender Untersuchung des Raumes und seines Inhalts, wobei die beiden nicht gerade zimperlich vorgehen und Siegel und Schlösser aufbrechen, finden sich folgende Gegenstände:
Ein Foliant mit der Aufschrift „Etherisches Geflüster“, welches von Wolfhart gleich als ein dämonisches Referenzwerk erkannt und damit wieder zur Seite gelegt wird.
Ein Ledergürtel mit einer metallenen Gürtelschnalle die eine entstellte Fratze zeigt. Emmeran kann nicht anders als sich diesen einmal kurz umzulegen, was allerdings keine Auswirkung hat.
Eine Schatulle mit kleinen Edelsteinen. Nach Wolfharts Schätzung ca. fünfzig Dukaten wert
Eine mit Zeichen und Symbolen versehene Vase auf einem Podest. Auch wenn Wolfharts Neugier groß ist, beschließt er die Vase später zu untersuchen.
Eine Truhe mit einem kleinen Vorhängeschloss, welches allerdings schnell aufgebrochen ist. In der Truhe findet sich die Barschaft des Klosters in unterschiedlichen Münzen. Wolfhart kann es nicht lassen und steckt sich eine der goldenen Dukaten, ohne das Emmeran es mitbekommt, in die Tasche.
Eine Truhe mit Schriftrollen und einem kleinen Buch. Das Buch ist ein wohl erst kürzlich, da oben aufliegend, gelesenes Tagebuch eines Klosterbruders zur Zeit Arras de Mots. Das Buch beschreibt die Taten und das Wirken des Klostergründers mit einem nicht gerade unkritischen Unterton. Auf den Schriftrollen finden sich, welch göttliche Fügung, die gesammelten al’anfanischen Prophezeiungen und die Orakelsprüche aus Fasar. Was ausgerechnet diese Werke dort unten verloren haben ist äußerst schleierhaft.
Es muss die dritte Stunde nach Mitternacht schon durch sein, als die beiden wieder aus dem Bergfried treten. Die Harpyien die mir noch bis vor einer Stunde Gesellschaft geleistet haben, sind mittlerweile wieder verschwunden und da auch sonst nichts weiter geschehen ist, schadet es nicht, wenn ich meine Position für die letzte Stunde vor dem Erwachen der Mönche vor das Gästehaus verlege. Das gibt mir die Gelegenheit mich kurz von den beiden unterrichten zu lassen, was sie gefunden haben.
Beim Gästehaus angekommen, finden wir eine Nachricht von Hüter Quanion an uns:
„Ich habe etwas Schreckliches herausgefunden. Trefft mich hinter den Kleintierställen zur Mittagsstund. Quanion“
Alarmiert durch die Worte legen wir uns nicht schlafen, sondern eilen zu Quanions Kammer, da uns die Gefahr in die dieser sich begeben hat, seine Entdeckung zu teilen, nur allzu bewusst ist. Leise schleichen wir durch das ruhige Dormitorium der Mönche und öffnen die Tür zu Quanions Kammer. Der erste flüchtige Blick lässt uns schon erkennen, dass wir zu spät gekommen sind. Hüter Quanions verdrehter Leichnam liegt auf seinem Bett und aus der aufgeschnittenen Kehle rinnen die letzten Tropfen Blut auf dem völlig besudelten Kammerboden. Wir beschließen, den Raum und den Leichnam zu untersuchen bevor wir den hohen Lehrmeister informieren. Bis auf einen kleinen Schlüssel, der wohl zu der Schatztruhe im Keller unter dem Bergfried gehört, finden wir nichts.
Umgehend informieren wir Nikolai de Mott, der sofort alles in Bewegung setzt, die Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Hüter werden informiert und einige mit der Untersuchung beauftragt, die anderen Brüder werden informiert und sofort an die Arbeit geschickt. Man bekommt den Eindruck, dass der hohe Lehrmeister die Klosterinsassen beschäftigen will, damit es keine Unruhe und kein Gerede gibt. Das gelingt ihm außerordentlich gut. Was ihm nicht so gut gelingt, ist es, ein Auge auf seine eigene Kammer zu werfen, denn während er noch Anweisungen ausgibt, schleicht sich Emmeran dort hinein. Bis auf die übliche Ausstattung an Kleidung und Schreibutensilien findet er allerdings nichts. Die verschlossene Truhe, welche auch noch in dem Raum ist, muss leider warten, da die Zeit drängt und jederzeit jemand in den Raum kommen könnte. Emmeran verschwindet deshalb schnell durch das Fenster und macht dieses mehr schlecht als recht auch wieder hinter sich zu.
Wir ziehen uns in das Gästehaus zurück und bevor wir uns, unseren wohlverdienten Schlaf gönnen, beraten wir noch, wer wohl der Verräter sein mag. Unser größter Verdacht liegt auf Nikolai de Mott. Ein ganzes Kloster zu blenden und auch noch stark genug zu sein, die Magie zu verhüllen, lässt uns allerdings an unserer einstigen Theorie, es könne sich um einen Magier handeln, zweifeln. Vielmehr vermuten wir nun, dass wir es mit einen Diener des Iribaar zu tun haben könnten. Wir beschließen in der nächsten Nacht das Dormitorium zu weihen um den möglichen Dämonendiener heraus zu locken.
Die große Katze, welche die letzte Nacht noch bei uns war, ist nicht wieder aufgetaucht. Hat der Vogel sie wohl doch erwischt.
Gegen Mittag erwachen wir, geweckt durch eine aufgeregt geführte Unterhaltung im Hof. Reisende Norbarden in der typischen Fellkleidung der Nordmänner stehen mit ihren zwei Packeseln im Hof und berichten Hüter Emmeran von einem, auf der Reise, verschwundenen Gefährten. Ihr elfischer Begleiter soll in plötzlich aufwallendem Nebel wohl vom Weg abgekommen sein und ist von da an nicht mehr aufzufinden. Die Neuankömmlinge bitten um Unterkunft und um Hilfe bei der Suche.
Aus dem Reisetagebuch des
Ritter Cordovan Boronar von Reuenhold vom Orden des Heiligen Golgari